Wolfslied Roman
seiner Boshaftigkeit sein. Es passiert nicht selten, dass Weibchen verstärkt gereizt und gestresst sind, wenn sie kurz davor stehen, ein Männchen zu wählen. Oft wechseln sie in solchen Zeiten zwischen mehreren Männchen hin und her, die sie erst anlocken und dann wieder abstoßen, bis sie schließlich ihre endgültige Wahl treffen.«
»Mir war bisher gar nicht bewusst, dass auch Vögel Maulhuren sein können«, scherzte ich.
Malachy ignorierte meine Bemerkung. So kam ich mir etwas dämlich vor. »Wenn ich mich recht erinnere, hatten Sie doch vor etwa einem Jahr die gleiche Wirkung auf einen weiblichen Uhu«, sagte er zu Red.
»Stimmt. Vielleicht bin ich doch ein echter Ladykiller … Ich denke, dein Kaffee könnte jetzt fertig sein, Doc.«
Red holte einen Becher aus dem Küchenschrank, und der Falke versuchte erneut erfolglos, eines seiner Haarbüschel zu erwischen.
Es klirrte, und zu meiner Überraschung lag der Becher zerschlagen auf dem Boden. Gewöhnlich hatte Red keine Schwierigkeiten, sich geschmeidig durch die Hütte zu bewegen - eine Kunstfertigkeit, die ich erst noch meistern musste. Es gab überhaupt vieles an Red zu bewundern: seine praktische Begabung, seine gelassene Art, sein trockener Humor und vor allem seine Güte und Ehrlichkeit.
Weshalb war ich dann aber in letzter Zeit so angespannt und gereizt, wenn er sich in meiner Nähe befand? Ich wusste, dass es oberflächlich von mir war, aber mich ärgerte immer mehr, wie wenig er auf sein Erscheinungsbild Wert legte. Als ich Red zum ersten Mal sah, hielt ich ihn für ungepflegt und heruntergekommen. Er wirkte wie einer jener Männer auf mich, die am Rand der Gesellschaft leben, sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten und in einer billigen Pension wohnen, wo sie wöchentlich die Miete für ihr Zimmer bezahlen. Ich brauchte allerdings nicht lange, um hinter die Fassade des Bauerntölpels zu blicken und festzustellen, wie attraktiv Red in Wahrheit sein konnte - schlank und geschmeidig, mit hohen Wangenknochen und klaren hellbraunen Augen, die wesentlich mehr wahrnahmen, als auf den ersten Blick zu erkennen war.
Doch als mir Red nun den Kaffee einschenkte, wünschte ich mir wieder einmal, er möge sich mehr Mühe mit seinem Aussehen geben. Sobald sein silbern durchsetztes, rotbraunes Haar lang genug wurde, um seine kantigen Gesichtszüge etwas weicher erscheinen zu lassen, suchte er unseren hiesigen Sweeney Todd auf, um sie wieder kurz rasieren zu lassen. Und dann waren da noch diese sackartigen Arbeitsoveralls, auf deren rechte Brusttasche ›Red Mallin, Umsiedlung von Wildtieren‹ gestickt war. Ich habe
zwar noch nie zu den Frauen gehört, die nach Männern in Armani-Jacketts schmachten, aber diese Art der Nachlässigkeit störte mich trotzdem. Schließlich trug ich ja auch nicht meinen blutverschmierten Arztkittel, wenn ich zu Hause am Küchentisch saß.
»Liebling«, sagte ich und trank einen großen Schluck Kaffee. »Du hast irgendeine Art Schmiere auf deinem … Nein, nicht auf der Seite. Auf der anderen.«
Red schnippte über seinen Overall, und etwas Undefinierbares flog in Richtung Spüle. Ich wünschte mir fast, nichts gesagt zu haben.
»Besser so?«
»Ehrlich gesagt, da ist auch noch ein Blutfleck oder so was. Könntest du vielleicht etwas anderes anziehen?«
Red zögerte einen Moment. Dann wandte er uns den Rücken zu und zog den Reißverschluss des Overalls auf. Zuerst hielt ich seine steifen Bewegungen für ein Zeichen seiner Verärgerung, weil ich ihn gebeten hatte, sich umzuziehen. Doch da bemerkte ich, wie Malachy Red aufmerksam beobachtete.
»Ist das eine einfache Bisswunde oder wurde die Haut noch stärker verletzt?«, wollte mein Chef wissen.
Red zuckte lässig mit den Schultern. »Ist bloß eine Art Liebesbeweis. Das sieht schlimmer aus, als es ist, weil das Blut getrocknet ist. Ich wollte das später beseitigen.«
Ich kam mir wie die schlimmste, oberflächlichste Frau der Welt vor. »Mein Gott, Red. Warum hast du denn nichts von der Verletzung gesagt?«
»Weil es nichts ist, Doc.«
»Lass mich sehen.«
Widerstrebend zog er den Overall bis zur Taille herunter,
wobei er leise ächzte, als er seinen rechten Arm aus dem Ärmel zog. Zu meinem Entsetzen hatte er mehrere kleine rote Bisswunden, die entzündet aussahen.
Ich sog hörbar die Luft ein, als ich seinen geschwollenen und entzündeten Arm betrachtete. »Um Gottes willen, Red! Du musst dich gegen Tollwut impfen lassen.«
Mir war natürlich bewusst, dass
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