Wolfslied Roman
Malachy.
Die fehlende Aussprache war vor allem meine Schuld. Ich wollte der Spannung, die seit meinem Ausbruch zu Hause herrschte, entkommen und nahm zwei Aspirin. Dann schleppte ich mich in die Praxis, wo sich Malachy mit keinem Wort nach meinem Befinden erkundigte oder mich wegen Queenie tröstete. Im Gegenzug sagte ich nichts über seine mysteriöse Krankheit. Keiner von uns erwähnte unseren seltsamen Moment der Intimität, was mir nur recht war. Wenn wir so taten, als wäre nichts geschehen, würde sich vielleicht auch die Erinnerung daran bald verlieren.
Ehrlich gesagt, mir gefiel die Vorstellung, mitten am Tag vor unserer Hütte unter meinem Chef gelegen zu haben, ganz und gar nicht. Ich war mir nicht sicher, was schlimmer war: das Wissen, dass Malachy gar nicht daran interessiert zu sein schien herauszufinden, was ich zu bieten hatte, oder dass es überhaupt so weit hatte kommen können. Ich hatte keine plötzliche Leidenschaft für Malachy entwickelt. Ganz im Gegenteil - ich fand ihn nicht im Geringsten attraktiv. Die ganze Sache kam mir inzwischen so vor, als hätte ich einen erotischen Traum gehabt, in dem ich es mit einem verschrobenen Highschoollehrer treiben wollte, den
ich im wachen Zustand nicht einmal von hinten angesehen hätte. So etwas hatte ich tatsächlich in der zehnten Klasse geträumt, was mich jetzt auf die Idee brachte, dass ich mich in Wolfsgestalt vielleicht noch genauso unreif und neugierig benahm wie damals.
Na, großartig. Genau das hatte mir noch gefehlt: eine weitere Pubertät!
Eigentlich hätte ich Malachy Knox gern von dem jüngsten Zwischenfall erzählt, doch gleichzeitig hielt ich es für wenig ratsam. Ich beschloss fürs Erste, die Büchse der Pandora verschlossen zu halten.
Den ganzen Tag über hatte ich mich stattdessen in Gedanken auf das Gespräch mit Red vorbereitet. Doch als ich nach Hause kam, war er gar nicht da, und er kehrte erst zurück, als ich bereits tief eingeschlafen war. Mir blieb also nur der nächste Morgen.
Als ich gerade zu mir kam, legte Red eine Hand auf meine Hüfte, was wohl als zärtliche Aufforderung zu verstehen war. Ehe ich darüber nachdenken konnte, ob ich das jetzt wollte oder nicht, rollte ich mich bereits von ihm weg. Einen Moment später drehte ich mich wieder um und stellte fest, dass er auf dem Rücken lag, die Hände unter dem Kopf verschränkt. Seine markanten Wangenknochen überschatteten seine Augen und ließen den Wolf in ihm deutlicher als sonst hervortreten. Kurz wünschte ich mir, er solle sich verwandeln, so dass Worte nicht mehr nötig sein würden. Dieser schwache herrliche Duft nach Wald und Moschus hing noch immer an ihm.
Wenn er in seiner Wolfsgestalt wäre, würde er sich nicht so verdammt vorsichtig verhalten, dachte ich. Dann würde es auch mich nach ihm verlangen …
Eine Beziehung muss mehr als guten Sex haben, meldete sich eine warnende Stimme in meinem Inneren. Wie immer schien sie meiner Mutter zu gehören, wobei ich nicht wusste, ob das ein Zeichen dafür war, dass ich meine Mutter als Autorität anerkannte, oder ob ihre herrische Art auch jetzt noch mein Unbewusstes dominierte. Wie auch immer - ich war mir jedenfalls nicht sicher, ob eine zweitklassige Filmdiva und Tierschützerin so ganz die Richtige für weise Ratschläge war.
Ungeduldig drängte die zweifelnde Stimme in den Hintergrund. Ich liebte Red und hatte ihm gegenüber momentan ein schlechtes Gewissen. Mich quälte sowohl mein gestriger Ausbruch als auch die Tatsache, dass ich seine Verletzung nicht bemerkt hatte, und außerdem die Sache mit Malachy. Also tat ich das, was vermutlich die meisten Amerikanerinnen tun würden, wenn sie ihren Männern eine Freude machen wollen: Ich zog los, um ihm ein saftiges Steak zu kaufen.
Vor meiner Verwandlung war ich rigorose Vegetarierin gewesen, und auch jetzt aß ich nur zu bestimmten Zeiten Fleisch. Außerdem bevorzugte ich es durchgebraten und gar, so dass es mich nicht mehr ganz so sehr an eine lebendige Kuh erinnerte. Zumindest galt das für meine menschliche Gestalt. Sobald ich pelzig und vierbeinig war, hätte ich ohne zu zögern ein Stück Fleisch aus einer Kuh gerissen, wenn ich nur die Gelegenheit dazu bekommen hätte.
Doch momentan war ich so menschlich, wie das bei mir überhaupt noch ging, was bedeutete, dass allein die Tatsache, ein Stück rohes Fleisch einzukaufen, es berühren, abwaschen und marinieren zu müssen, ein großes Opfer für mich bedeutete. Oder eben ein Zeugnis meiner Liebe
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