Wolfslied Roman
für
Red. Ich starrte auf das Steak in der Fleischtheke und versuchte mich zu erinnern, ob viele kleine weiße Fettadern im Fleisch gut oder schlecht waren.
»Sie stehen im Weg.«
Ich drehte mich um. Beim Klang dieser mir nur allzu vertrauten dunklen Stimme mit dem osteuropäischen Akzent verkrampfte sich mein Magen noch mehr.
»Hallo, Magda.«
Finster starrte ich die Frau an, die mit meinem Exmann in spe in dem Haus wohnte, das wir einmal geteilt hatten. Sie trug einen taillierten roten Wollmantel und hatte einen neuen Kurzhaarschnitt, der die weiße Strähne in ihrem sonst schwarzen Haar recht gut zur Geltung brachte. Sie war fünfzehn Jahre älter als ich, doch neben ihr kam ich mir in meiner unvorteilhaft geschnittenen Jeans und der Daunenweste aus dem Eisenwarenladen wie ein Mauerblümchen vor.
»Oh, hallo, Abra«, sagte sie, als hätte sie mich nicht schon vorher erkannt. Magda Ionescu war nicht nur ein Werwolf, sondern auch eine bekannte Wolfsforscherin und erfahrene Fährtenleserin - also niemand, der in Gedanken versunken durch einen Supermarkt schlendert. Ich hatte keine Ahnung, warum sie sich so zurückhaltend gab, aber mir stellten sich allein bei ihrem Anblick die Nackenhaare auf. Wir konnten uns nicht leiden, und ich sah auch jetzt keinen Grund, so zu tun, als freue mich unser Zusammentreffen.
»Siehst du nicht entzückend aus!« Magda nahm die restlichen vier Steaks aus dem Kühlregal und lächelte mich an. »Nimmst du das oder nicht? Ich möchte nicht gierig erscheinen, aber meine Brüder kommen zu Besuch.«
Im Jahr zuvor hatte ich zu spät bemerkt, dass ihre aufgesetzte Freundlichkeit in Wahrheit eine Form der Aggression darstellte. Wenn wir beide in unseren Wolfsgestalten voreinander gestanden hätten, wäre sie zu mir marschiert und hätte an mir geschnüffelt, ehe sie mich angegriffen hätte.
»Tut mir leid, aber ich koche heute für Red ein besonderes Abendessen.« Mit Bestimmtheit warf ich das Steak in meinen Einkaufswagen.
»Wie süß. Ich freu mich wirklich, dass ihr beide so glücklich seid«, sagte Magda und lehnte sich vor, als wollte sie mir ein Geheimnis anvertrauen. »Ich weiß ja, dass ihr, Hunter und du, nie zusammengepasst habt, und da finde ich es einfach wunderbar, dass du doch noch einen Mann gefunden hast, der offensichtlich besser zu dir passt. Ich habe Kojoten schon immer gemocht. Sie sind so gerissen und machen das, was ihnen an Stärke und Größe fehlt, durch ihre Listigkeit wieder wett.«
Ich merkte, dass mein rechtes Augenlid zuckte. »Zum einen ist Red kein Kojote, sondern ein roter Wolf. Und zum anderen kann ich mich nicht erinnern, dich nach deiner Meinung gefragt zu haben.«
Magda lachte heiser. »Du meine Güte, da scheine ich dich an einer empfindlichen Stelle erwischt zu haben. Sorry, aber ich habe wirklich nichts dagegen, dass Red ein Kojote ist. Vor allem wenn man bedenkt, dass du keine Kinder bekommen kannst, scheint es doch ganz sinnvoll zu sein, dann zumindest einen Partner zu wählen, der zu einer anderen Gruppe gehört. So hast du wenigstens etwas Abwechslung in deinem Leben.«
Erst jetzt sah ich mich um, ob jemand unsere Unterhaltung
belauschte. Die Northsider mochten Experten darin sein, die übernatürlichen Phänomene um sie herum zu ignorieren, und zudem redeten wir recht leise, aber trotzdem - eine Kleinstadt bleibt eine Kleinstadt. Hier interessierte man sich fast immer für das, was der Nachbar tat oder dachte.
Ich wartete also, bis zwei Frauen mit ihren Einkaufswägen um die Ecke gebogen waren, ehe ich Magda antwortete. »Was soll das heißen - ich kann keine Kinder bekommen? Nur weil ich das letzte Mal nicht schwanger wurde, bedeutet das noch nicht, dass es überhaupt nicht klappt.«
Magda ließ ihre Zähne aufblitzen, als sie mich erneut kalt anlächelte. »Arme Abra. Du hast wirklich keine Ahnung, oder? Und das, obwohl du Tierärztin bist. Da müsstest du dich doch mit den Fortpflanzungszyklen von Hunden und Wölfen auskennen.« Für den Fall, dass ich noch immer nicht verstand, was sie meinte, fügte sie gespielt mitfühlend hinzu: »Es war eine Scheinschwangerschaft, meine Liebe. Ein unterwürfiges Weibchen wird kaum jemals trächtig.«
Als Magda diese Worte aussprach, wurde mir plötzlich bewusst, dass ich mich bisher nie als halbe Wölfin betrachtet hatte. In meiner bisherigen Vorstellung von mir selbst verwandelte ich mich bei Vollmond in einen Wolf. Untertags jedoch war ich eine normale Frau. Ganz einfach.
Doch was mir Magda
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