Wolfsmagie (German Edition)
Problemlöser«, korrigierte er und ließ die Arme sinken. »Ein Anruf genügt.«
Kris wusste nicht, was sie sagen sollte. Wer immer in Drumnadrochit Frauen meuchelte, hatte sehr wahrscheinlich auch in anderen Ländern gemordet. Und falls derjenige gefasst würde, standen die Chancen, dass er ein tödliches Ende fand, aufgrund der Involvierung dieser verschiedenen Länder eher schlecht. Aber war es richtig, jemanden ohne einen ordentlichen Prozess zu exekutieren?
Bevor sie nach Schottland gekommen war, hätte Kris diese Frage mit einem glasklaren Nein beantwortet. Inzwischen war sie nicht mehr so überzeugt.
»Als Erstes benötige ich wasserdichte Beweise«, erklärte Marty ruhig. »Und die werde ich bekommen. Auf die eine oder andere Art.«
»Okay.« Kris nickte. »Okay.«
»Falls es dein … Freund ist, werde ich den Anruf trotzdem machen.«
»Mein Freund?«
»Dein Liebhaber.« Marty lächelte verhalten. »Gott, ich hasse es, mir das bei meiner kleinen Schwester vorzustellen, aber ich schätze, wir sind alle erwachsen.«
»Du hältst Liam für einen Serienkiller?«
»Er hat mich für einen gehalten.«
»Du sagtest gerade, dass er keinen Pass besitzt. Wie hätte er Schottland dann verlassen und in all diese Länder einreisen können?«
»Und du sagtest gerade, dass ich den falschen Namen überprüft habe.« Marty guckte wieder zur Haustür, durch die Liam verschwunden war. »Ich habe ein mulmiges Gefühl …«
Kris erging es genauso, wenn auch nicht wegen Liams Pass. Sie glaubte nicht, dass er ein Serienmörder war. Trotzdem führte er etwas im Schilde. Sie konnte nur hoffen, dass es nichts war, das ihn das Leben kosten würde.
»Ich habe einige Zeit in der Bibliothek von Inverness gestöbert«, fuhr Marty fort.
»Schön für dich«, entgegnete Kris, mit den Gedanken noch immer bei Liam. Und bei seiner Tätowierung.
»Ich habe herauszufinden versucht, welche Legende der Killer zu imitieren versucht.« Kris vergaß die Tätowierung. »Dabei stieß ich auf eine obskure Geschichte in einem sehr alten Buch.«
Seine Stimme wurde nun lebhafter, genau wie seine Mimik. Offenbar begeisterte es ihn ebenso sehr, Märchen zu erforschen, wie Kris es früher begeistert hatte, sie zu hören.
»Ich habe die Legende nirgendwo anders gefunden«, fügte er hinzu, »was erstaunlich ist, nachdem Legenden in der Regel so lange überliefert werden, bis sie zur Grundlage für viele verschiedene lokale Spukgeschichten mutieren. So sollte man beispielsweise meinen, dass die Menschen, die am Loch Ness leben, Nessie benutzen würden, um ihre Kinder davon abzuhalten, zu nahe ans Wasser zu gehen.«
»Wer sich zu nahe ranwagt, wird vom Ungeheuer geschnappt‹«, sagte Kris und wackelte in der universellen Geste für Schaurigkeit mit den Fingern.
»Exakt. Aber ich konnte nichts dergleichen finden, und in Anbetracht der Geschichte, die ich entdeckt habe, hätte das eigentlich der Fall sein müssen.«
»Wie lautet die Geschichte?«
Marty gab ihr mit einem Wink zu verstehen, dass beide sich setzen sollten, dann fing er an zu erzählen. »Vor langer, langer Zeit existierte einmal ein Kelpie.« Kris machte den Rücken kerzengerade, und die Augen ihres Bruders weiteten sich vor Überraschung. »Du hast schon mal von ihnen gehört?«
»Ich habe schon von Kelpies gehört, wenn auch nichts Spezifisches.«
»Der Bibliothekarin zufolge verfügt jedes Gewässer in Schottland und Irland über seine eigene Kelpie-Legende. Was wiederum die Frage aufwirft, warum es hier keine gibt.«
»Weil sich alles um Nessie dreht?«
»Oder, weil sie etwas verheimlichen.«
»Seit abertausend Jahren?«
»Du würdest dich wundern. Jedenfalls setzt die Legende, die ich gelesen habe, den Kelpie mit dem Each Uisge gleich.«
»Dem mythischen Wasserpferd.«
Marty nickte. »Das prächtige Pferd verlockte seine ahnungslosen Opfer, auf seinem Rücken ein Gewässer zu überqueren, bevor es sich aus Spaß an der Freud in einen Fisch, einen Frosch oder einen Aal verwandelte. Ringsum von Wasser umgeben, ertranken die Opfer hilflos, da die meisten zu jener Zeit nicht schwimmen konnten. Aber der Loch-Ness-Kelpie war anders geartet.«
»Inwiefern?«
»Es handelte sich um einen bildschönen Menschen, der sich an den Ufern des Loch Ness in der Sonne räkelte und seine ahnungslosen Opfer verführte, ehe er sie ins Wasser lockte …«
»Wo er sie aus Spaß an der Freud ertränkte.«
»So in etwa«, bestätigte Marty.
»War es ein Mann? Oder eine Frau?«
»Das
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