Wolfsmagie (German Edition)
murmelte sie, als sie die Straße überquerte und hinunter zum Loch Ness stapfte.
Aber war es Irrsinn?
Sie würde es herausfinden.
Kris suchte mit den Augen das Ufer ab – nichts, noch nicht mal eine Leiche –, dann ließ sie den Blick über die Bucht gleiten.
In dieser dunkelsten Stunde, wo der Mond bereits untergegangen und die Sonne noch nicht mal eine Ahnung am Horizont war, brandete das Wasser wie schwarzes Eis auf das andere Ufer zu. Wellen schwappten, aber Kris konnte weder sie noch irgendetwas sonst sehen. Kein einziges Boot. Kein Treibholz. Keinen Felsen. Keine …
»Nessie!«, brüllte sie, dann hob sie einen Stein auf und schleuderte ihn mit aller Kraft in die Finsternis. »Ich weiß, dass du dort draußen bist. Und ich weiß auch, wer du bist.«
Der Stein traf auf etwas. Flump . Die Stille, die folgte, dröhnte in Kris’ Ohren. Sie lief mit schnellen Schritten das Ufer entlang. Er konnte sich nicht vor ihr verstecken. Nicht für immer.
»Liam!«, brüllte sie. »Liam Grant!«
Sie gelangte an ein dichtes Wäldchen. Darin war die Dunkelheit noch undurchdringlicher. Scheiß drauf! , dachte sie und wagte sich hinein.
»William! Billy! Wie auch immer dein verdammter Name lautet. Komm raus und zeig dich, wo du auch stecken magst!«
Sie kam sich wie eine Idiotin vor, trotzdem hörte sie nicht auf. Und sie würde auch nicht aufhören. Nicht, solange er sich ihr nicht stellte und die Wahrheit gestand.
Sie erreichte Urquhart Castle. Dieses Mal stand niemand auf dem Turm. Der Wind jammerte gleich einer Todesfee in den Ruinen.
»He!«, schrie sie. »Bist du taub? Oder hast du Wasser in den Ohren. Falls du überhaupt Ohren besitzt.«
Kris verstummte, lauschte, hörte nichts als den Wind und die Wellen. Dennoch hätte sie schwören können …
Sie legte den Kopf schräg und fing diesen unwiderstehlichen Duft auf. Er war hier. Irgendwo. Sogar ihr Nacken prickelte.
Ihr Blick schweifte über die Burg, die Ruinen, den Loch Ness und die Bäume. Dann plötzlich wusste sie Bescheid.
»Du stehst direkt hinter mir, nicht wahr?«
24
»Ich besitze Ohren, mo chridhe .«
Kris fuhr herum. Liam konnte ihren Gesichtsausdruck nicht sehen, aber er hörte den Schmerz in ihrer Stimme, noch ehe sie mit dem letzten Wort brach. »Nenn mich nie wieder mo was auch immer.«
»Mein Herz«, raunte er, und seine Brust zog sich zusammen.
Kris reckte trotzig das Kinn. »Du hast kein Herz.«
»Doch, und es gehört dir. Auf ewig.«
»Soweit ich weiß, bedeutet das in deinem Fall buchstäblich auf ewig.«
Er ließ den Kopf hängen. Was konnte er schon sagen?
»Was bist du?«, fragte sie.
Liam hielt den Blick weiter gesenkt. Er versuchte zu atmen, hoffte zu sterben und wusste, dass es unmöglich war. Als er keine Antwort gab, murmelte Kris einen Kraftausdruck und fasste in ihre Tasche.
Neugierig beobachtete er die Bewegung ihrer Hand, als sie auf ihn zuschoss. Kris drückte das silberne keltische Kreuz auf seinen Unterarm, dann zog sie es zurück, als erwartete sie Flammen.
Aber da waren keine.
»Was …«, setzte sie an und verstummte. Zweifel klang in dem einen Wort mit, schlich sich in ihre Miene. Sie wollte nicht glauben, was immer man ihr erzählt hatte, und würde dafür nach jedem Strohhalm greifen.
Er könnte sie im Ungewissen lassen. Sie könnten so weitermachen wie bisher. Er hatte schon schlimmere Sünden begangen.
Liam öffnete den Mund – um ihr die Wahrheit zu gestehen oder sie anzulügen, das würde er nie erfahren. Weil noch ehe er etwas sagen konnte, ein Schrei die Nacht zerriss.
Schrill, entsetzt und sehr nahe.
Zusammen rannten sie dem Geräusch entgegen.
Liam erreichte den Rand des Wassers als Erster. Die Schreie hielten an, aber er konnte weit und breit niemanden erkennen.
Das Wasser, die Berge, sie verstärkten und verzerrten. Die Geräusche, die den Eindruck vermittelt hatten, von hier zu kommen, kamen in Wahrheit von …
»Dort drüben.« Kris streckte den Finger aus. Eine Frau trieb im Wasser; wann immer sie auftauchte, kreischte sie panisch, bevor sie gurgelnd wieder unterging.
»Scheiße.« Kris trat sich die Stiefel von den Füßen, dabei zerrte sie sich gleichzeitig den Pulli über den Kopf.
»Nein«, befahl Liam, und Kris hielt inne, ein Arm noch immer im Pulli.
»Sie ertrinkt. Wir können nicht tatenlos zusehen.«
»Es ist zu kalt, und sie ist zu weit weg. Du würdest umkommen.«
»Nicht bevor sie es tut.« Ihr schneeweißes T-Shirt zeichnete sich hell gegen den dämmrigen Himmel
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