Wolfsmagie (German Edition)
auf das Loch Side Cottage zuging.
»Er ist hier.« Alan Mac trat in die kühle, samtige Dunkelheit der Bäume. »Er hat mit ihr gesprochen.«
»Es sind im Moment Dutzende Ers hier. Du musst dich schon genauer ausdrücken.«
»Mandenauer.«
Liam versteifte sich, dann richtete er den Blick auf die Menschenmenge. »Ich sehe ihn nirgends.«
»Er ist schon weg. Trotzdem könnte er noch immer in Drumnadrochit sein.«
»Was hat er ihr erzählt?«
Alan Mac zuckte die Achseln. »Wohl nicht viel, aber bei ihm kann man nie wissen.«
Liam entspannte sich ein wenig. »Zweifellos wird er bis zu dem Tag, an dem er stirbt, immer wieder hier aufkreuzen, und er redet viel mit den Leuten. Tatsächlich tut er oft mehr als das. Das ist doch nichts Neues.«
»Diese Morde aber schon.«
»Du glaubst, Edward Mandenauer ertränkt junge Mädchen? Er ist gut in Form für einen Greis, trotzdem traue ich ihm das nicht zu.«
Alan entgegnete nichts, sondern fixierte Liam weiter, bis der den Blick seufzend erwiderte. »Du denkst, ich war es?«
»Ist es so?«
»Ich hab seit Jahren kein Mädchen ertränkt«, antwortete Liam trocken.
Alan Mac schnaubte abfällig. »Als ob du es mir sagen würdest, wenn es anders wäre.«
Die beiden Männer ließen die Blicke über die Menge, die Lichter, die mit einer Plane bedeckte Leiche am Ufer des Loch Ness schweifen.
»Wir können diese Sache nicht länger vertuschen«, brummte Alan Mac.
Liam gab keine Antwort. Er hätte nie gedacht, dass es ihnen überhaupt so lange gelingen würde.
In der Hoffnung, ins Bett zu fallen und sofort einschlafen zu können, kehrte Kris ins Cottage zurück. Stattdessen sah sie, sobald sie die Augen schloss, das Gesicht des namenlosen toten Mädchens vor sich.
Sich unruhig hin und her wälzend, versuchte Kris es dennoch eine ganze Weile, ehe sie sich schließlich aufsetzte und das Licht anknipste. Wo war ihr Buch?
Sie tappte ins Wohnzimmer, wo ihr Exemplar von Übernatürliche Geheimnisse – stets eine unerschöpfliche Quelle, um dem nächsten Schwindel auf die Schliche zu kommen – auf der Couch lag. Kris bückte sich und griff danach, dann richtete sie sich, den Blick zum Fenster gewandt, wieder auf.
Jemand stand am Ufer.
Ihr Herz machte einen Satz. Konnte es der Mörder sein? Wie lange würde es dauern, bis er zum Cottage käme? Kris wünschte sich, Edward hätte ihr neben dem Geld auch eine seiner Waffen überlassen.
Als könnte sie damit umgehen, hätte sie eine gehabt. Aber wie schwierig konnte das schon sein? Man richtete das lange Ende auf das, was man erschießen wollte, und dann …
»Peng«, murmelte sie, die Gestalt am Loch Ness nicht aus den Augen lassend.
Das Mondlicht wirkte wie der Lichtstrahl eines außerirdischen Raumschiffs. Mit ein bisschen Fantasie hätte man sich vorstellen können, wie der Mann von dem Licht eingekapselt, nach oben gebeamt und auf Nimmerwiedersehen verschwinden würde.
Stattdessen badete er darin, als wäre er am Verdursten und der Mond ein kühles Nass. Der helle Schein funkelte wie Tau in seinem Haar, als Kris plötzlich erkannte, wer er war.
Ungeachtet der Kälte, ihrer nackten Füße und ihres Schlafgewands, bestehend aus einem T-Shirt und einer Flanellpyjamahose, lief Kris aus dem Cottage und hinunter zum See.
Falls er sie kommen hörte, ließ er es sich nicht anmerken, sondern starrte weiter auf das Wasser. Der Nebel hatte sich so schnell verzogen, wie er gekommen war, und die Nachtluft war nun kühl und klar.
Er war in derselben Aufmachung wie bei ihrer ersten Begegnung: dunkle Jeans und ein dunkles, kurzärmeliges Hemd. Bei diesen Temperaturen hätte er eigentlich frieren müssen – sie zumindest tat es –, doch er verharrte völlig ungerührt am Seeufer, die Arme an den Seiten, anstatt sie wie Kris um den Oberkörper zu schlingen, als wäre es der erste Sommertag in den Tropen und nicht Herbstbeginn im schottischen Hochland.
Kris blieb einige Schritte hinter ihm stehen und wartete, dass er das Wort ergriff, dass er irgendeine Erklärung abgab, doch das geschah nicht. Schließlich sah sie sich genötigt zu fragen: »Wieso behauptet Alan Mac, dass ein Junge zu ihm gekommen sei, um ihn wegen des toten Mädchens zu verständigen?«
Er atmete mehrmals ein und aus. Kris behagte sein Zögern nicht. Ihrer Erfahrung nach zog ein Zögern stets eine Lüge nach sich. Allerdings galt ihrer Erfahrung nach für eine überschnelle Antwort dasselbe.
Genauer gesagt, war ihrer Erfahrung nach beinahe alles, was Menschen
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