Wolfsmondnacht (German Edition)
sich zu einem einzigen Punkt, der sich in die Ewigkeit erstreckte.
Jean-François spürte, wie der Moment vorüberging und entglitt in jene fremde Sphäre, die er nie ergreifen würde. Zugleich zog der Schlaf ihn in seine Arme. Der Schlaf und sein Bruder, der Tod, als Jean-François’ letzter Herzschlag in der Stille verklang.
11. Oktober 1560
Blut quoll über Jean-François’ Hand. Seine Nachbarin, Madame Mirabeau, reichte ihm ein Tuch, um die Blutung zu stillen.
»Es tut mir furchtbar leid«, sagte sie.
»Ist schon in Ordnung.«
»Ich wusste nicht, dass sie so reagiert.«
»Ich bin selbst schuld, Madame. Ich hätte ihr Zeit geben sollen, sich an mich zu gewöhnen, bevor ich sie auf den Arm nehme.«
Er blickte auf die kleine Katze zu seinen Füßen. Sie riss ihr Maul weit auf und zeigte spitze Raubtierzähne. Ein bedrohliches Grollen entkam ihrer Kehle, gefolgt von einem Fauchen. Aus ihren grünen Augen sprühte Angriffslust.
Madame Mirabeau seufzte.
»Er mag zwar wild sein, doch wird er gewiss ein ebenso guter Mäusefänger wie seine Mutter.«
Jean-François betrachtete die Kätzin. Sie war in allen Farben gescheckt, die er jemals an Katzen gesehen hatte.
»Ein ungewöhnliches Tier«, sagte er.
»Ja, das ist sie, meine Colette.«
»Ihr gebt Euren Katzen Namen?«
»Aber gewiss doch. Jede meiner Katzen hat Namen. Wie sollte ich sie sonst auseinanderhalten?«
Jean-François sah die etwa zehn Katzen an, die sich in Madame Mirabeaus Haus tummelten. »Das sehe ich ein, Madame.«
»Darf ich Euren Arm verbinden?«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht nötigt. Es ist nur ein Kratzer.« Er wollte verhindern, dass Madame Mirabeau Kenntnis von seinen übernatürlichen Selbstheilungskräften bekam.
»Ich nehme ihn«, sagte er.
»Wen?«
»Na, diesen wilden grauen Teufel.«
Madame Mirabeau setzte an, etwas zu sagen, verkniff es sich jedoch sichtlich.
»Gut«, sagte sie schließlich. »Nehmt Ihr ihn gleich mit. Ich habe Falknerhandschuhe, die ich Euch gerne leihe.«
»Das wird nicht nötig sein. Ich komme schon mit ihm zurecht.«
Madame Mirabeau lächelte. »Er hat ohne Zweifel Temperament. Bestimmt wird er Euren Ratten das Fürchten lehren.«
Jean-François sah seine neue Nachbarin an. Was Madame Mirabeau an Länge fehlte, glich sie durch Breite wieder aus. Sie war keine Schönheit, doch auf ihre eigene Weise hübsch mit ihren strahlend blauen Augen in ihrem runden Gesicht und den dunkelblonden Locken, die sie achtlos hochgesteckt hatte. Sie errötete leicht, als sie seinen Blick auf sich ruhen bemerkte.
»Was bekommt Ihr für ihn?«, fragte er.
»Nichts, Monsieur. Kein Mensch zahlt etwas für eine Katze. Die meisten sind froh, wenn sie sie los sind.« Bitterkeit lag in ihrer Stimme.
»Nichts?« Er betrachtete ihr Gesicht, die hübschen Grübchen an ihrem Kinn.
»Behandelt sie gut und Ihr habt mir den größten Gefallen getan.«
Jean-François drückte ihr zwanzig Sol in die Hand. »Als Dank für den kleinen Rattenfänger.«
»Das ist viel zu viel.« Sie wollte ihm das Geld zurückgeben, doch er ließ es nicht zu.
»Behaltet es. Er wird mir gute Dienste leisten, wenn er bei mir Ratten fängt.«
Womöglich würde der Kater ihm auch ein wenig seiner Einsamkeit nehmen. Glücklicherweise war er schon immer ein Einzelgänger gewesen, sodass sie ihm weniger ausmachte als anderen Personen.
»Darf ich Euch etwas zu Trinken anbieten, Herr Nachbar?«
Jean-François riss seinen Blick von ihrer Halsschlagader los. »Merci, Madame, aber ich möchte nichts.«
Sie betrachtete ihn lächelnd. »Dann trinke ich alleine.« Sie schenkte ihren Krug voll und prostete ihm zu. »Auch gute Nachbarschaft.«
» Oui , Madame.« Er lächelte leise. »Doch jetzt werde ich meinen neuen Hausgenossen mit nach Hause nehmen.«
»Packt ihn an der Haut seines Genicks. Das sieht zwar grausam aus, doch die Kätzinnen nehmen die Kleinen ebenso. Meistens verhalten sie sich dann ruhiger.«
Er beugte sich über den kleinen Kater, der fauchte, als er ihn im Genick packte. Er wand sich, schlug um sich und versuchte, ihn zu beißen, erreichte ihn jedoch nicht. Schließlich wurde er ruhiger, wohl, weil er sich der Aussichtslosigkeit seiner Lage gewahr wurde.
Madame Mirabeau hielt ihm die Tür auf.
»Danke, Madame, einen schönen Abend noch.«
»Danke, gleichfalls.«
Er lief hinüber zu seinem Haus, das gleich neben Madame Mirabeaus stand, einzig getrennt durch deren Garten und einen niedrigen Zaun.
»Kleines Biest«, sagte
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