Wolfsmondnacht (German Edition)
Schwester die Wahl lassen und sie nicht verurteilen.
»Ich werde dieses Zeug auf keinem Fall trinken«, sagte Céleste.
Jean-François sah sie besorgt an. »Ich verstehe deine Sorge, ma petite , doch das Weib, das an Suzettes Abtreibungstrank gestorben ist, hat dies selbst verschuldet. Sie hat den Trank zu spät genommen. Du bist jedoch noch unter neun Wochen schwanger. Gewiss bleibt ein Restrisiko, doch es ist immer noch geringer, als bei einer Geburt zu sterben.«
»Denkst du, ich habe mir nicht bereits nächtelang Gedanken darüber gemacht?« Zorn lag in ihren schönen Augen, doch auch die Traurigkeit, die sie dahinter verbarg, entging ihm nicht. »Ich will dieses Kind, Jean-François, nicht nur, weil ich seinen Vater liebe und mir Hoffnungen mache, dass er zu mir zurückkehrt.«
»Eine trügerische Hoffnung.«
»Hoffnung ist das einzige, was ich noch habe.«
»Du hast mich.« Jean-François drückte ihre Hand. »Wie ist der Name seines Vaters?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Du würdest nur irgendetwas Schlimmes machen.«
»Nichts Schlimmes. Ich würde ihn überzeugen, zu seiner Verantwortung zu stehen.«
»Du würdest ihn verprügeln.«
»Schlagkräftige Argumente verwende ich erst, wenn nichts anderes mehr hilft.«
»Eben darum will ich es dir nicht sagen.« Sie sah ihn durch den Schleier ihrer Tränen an. »Bitte tue es nicht. Er ist der einzige Vater, den mein Kind jemals haben wird.«
»Ein schöner Vater, der dich vor der Geburt schon alleine lässt.« Er blickte auf den Krug mit dem Abtreibungstrank in seiner Hand. »Du willst ihn also nicht trinken?«
Heftig schüttelte sie den Kopf. »Nein! Ich werde meinem Kind nicht das Leben verweigern, egal wie schwer es für mich werden wird. Ich kann es einfach nicht.« Tränen liefen über ihr Gesicht. »Selbst wenn sein Vater nichts von ihm wissen will, so ist es doch mein Kind.« Durch einen Schleier aus Tränen sah sie ihn an. »Du hast mich damals auch nicht sterben lassen.«
»Du warst bereits geboren, ma sœur .«
»Suzette hat gewiss versucht, mich abzutreiben.«
»Wir sind halt eine hartnäckige Brut.«
»Du hast mich gerettet, als sie mich ertränken wollte. Dabei warst du selbst noch ein Kind.«
»Aber das war doch selbstverständlich.«
»Émile hat dich dafür verprügelt, sodass du tagelang nicht richtig sitzen konntest. Dennoch fuhrst du mit Estelle nach Dôle zu Tante Camille, um mich dorthin zu bringen. Tag und Nacht sorgtest du für mich. Du hast die Amme bezahlt mit dem Geld, das du mit deinem eigenen Körper verdient hast, dabei warst du selbst noch so jung, fast ein Knabe. Du hast dich darüber ausgeschwiegen, doch Estelle hat mir alles erzählt.« Tränen rannen über ihre Wangen.
»Ich sollte mit Estelle über ihre Klatschsucht reden.«
»Es steht mir zu, es zu wissen. Warum hast du es mir nicht selbst gesagt?«
»Weil es nicht von Bedeutung ist.«
»Nicht von Bedeutung?« Sie hob ihre Stimme an. »Wenn dies nicht von Bedeutung ist, was ist dann von Bedeutung?«
»Du bist von Bedeutung für mich. Ich habe damals versagt, als sie meine erste Schwester in der Seine ertränkten. Ich war zu langsam, zu schwach. Ich will nie wieder schwach sein.« Eine Träne rann über seine Wange. Verärgert wischte er sie weg. »Weißt du, was es bedeutet, mit dieser Schuld leben zu müssen? Sie frisst in mir. Immer weiter frisst sie mich auf. Das sind Bilder, die man niemals vergisst, die einen jagen, ob man wach ist oder schläft.«
Jean-François wandte sich zum Fenster, öffnete es und schüttete den Abtreibungstrank hinaus, genau auf Tante Camille, die gerade vorüberging. Unter dem Geräusch ihrer Flüche schloss er das Fenster wieder. Er trat zu Céleste.
» Ma petite cherie . Ich werde für dich und das Kind sorgen.« Er schloss Céleste in seine Arme und streichelte ihren Rücken, bis ihre Tränen verebbten.
Drei Nächte später
Jean-François lächelte Céleste an, die neben ihm auf dem Brunnenrand saß und in das tiefe Wasser hinabblickte. Schließlich hob sie ihren Blick zu Jean-François.
»Du musst wirklich schon gehen?«
Er nickte. » Oui , es tut mir leid. Die Geschäfte ruhen niemals.«
»Doch du musst gelegentlich ruhen.«
»Schlafen kann ich noch, wenn ich tot bin.« Er lachte.
»Denkst du, mir ist entgangen, wie du dich verändert hast, seitdem du bei Blanchard arbeitest? Erst lässt du dich monatelang nicht bei mir blicken. Dann kommst du so schnell zu mir, als könntest du fliegen. Kein Mann zu Pferde
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