Wolfsmondnacht (German Edition)
Célestes Wohl geht, müssen wir in eine Richtung ziehen. Wenn ich Céleste mit nach Paris nehmen könnte, würde ich es tun. Die Kindersterblichkeit ist hoch in der Stadt. Ich hatte damals meine Gründe, sie so weit wegzubringen.«
Er seufzte. »Doch die Leute hier meiden sie und deuten mit Fingern auf sie. Lasst nicht zu, dass Céleste niemanden hier in Dôle hat. Wenn ich hier bei ihr sein könnte, würde ich es sein. Doch so bitte ich Euch: Seid für sie da, Camille. Tut es für Céleste, wenn Ihr auch nur einen Funken Liebe für sie empfindet.«
Camille starrte ihn an. Eine Vielzahl von Emotionen zog über ihr Gesicht: Zorn, Hass, Verwunderung und Unsicherheit.
»Ich werde das Balg dulden,« sagte sie leise, »aber ihr solltet nicht erwarten, dass ich mich darum kümmere.« Sie wandte sich abrupt um und ging in die Küche. Jean-François wusste, dass sie ihn verabscheute, doch es war ihm gleichgültig. Wichtig war für ihn nur, dass sie in dieser Minute die Wahrheit sprach und zu dieser stehen würde in der Zeit, die kommen sollte.
Er holte tief Luft, sog den vertrauten, doch ihm zugleich fremd gewordenen Geruch ein, den er stets mit ›Zuhause‹ verband. Diese seltsame Mischung aus Seife, Suppe, Kräuterbündeln und Lavendel. Céleste sollte eine Heimat haben, etwas, das für ihn auf ewig unerreichbar war. Er war der wandelnde Tod. Nicht einmal in ihren schwersten Stunden konnte er bei seiner Schwester sein, ohne eine Bedrohung für sie darzustellen.
Jean-François lief die Treppe hinauf. Am Ende des Gangs befand sich der kleine Raum, den Camille ihm überlassen hatte. Darin standen nicht mehr als ein Bett, ein kleiner Tisch, ein Stuhl und eine Truhe. Er nahm seine wenigen Habseligkeiten und packte sie zu einem Bündel zusammen.
Céleste erwartete ihn unten im Flur. Sie lächelte schwach.
»Du wirst doch bald wiederkommen?«, fragte sie.
»Das habe ich dir doch versprochen.«
»Du hast es mir auch an meinem letzten Geburtstag versprochen und warst doch so lange weg. Selbst deine Briefe kamen unregelmäßiger als sonst. Etwas stimmt nicht mit dir. Du willst es mir nur nicht sagen.«
Die Enttäuschung in ihrem Blick versetzte ihm einen Stich ins Herz.
»Es tut mir leid, dass ich dich enttäuscht habe. Ich komme wieder, Céleste. Sobald ich kann. Ich werde immer Zeit für dich finden.« Er küsste sie auf die Stirn. » À bientôt, ma petite sœur .«
» Au revoir, Jean-François.«
20. April 1561
So aufgebracht hatte Jean-François Monsieur Blanchard noch nie gesehen. Eine Ader an der Stirn des Mannes war angeschwollen. Sein Gesicht war hochrot vom Schreien.
»Ich sagte doch, dass Eure durchgefeierten Nächte uns eines Tages das Genick brechen würden!« Blanchard starrte Jean-François über seinen Schreibtisch hinweg an.
»Ich feiere meine Nächte nicht durch. Ich arbeite.«
»Man arbeitet bei Tag. Wir sind Händler, keine Nachtwächter. Damné !«
»Ihr arbeitet bei Tag und ich bei Nacht. Dies bedeutet, wir sind zu jeder Stunde erreichbar. Was wollen die Kunden mehr?«
Blanchard schnaubte. »Ihr macht es Euch sehr einfach, Merdrignac. Bourgueil wird diese Schwäche auszunutzen wissen und uns vernichten. Er wird uns all unsere Kunden wegnehmen. Einen nach dem anderen und anschließend stampft er, das, was von uns noch übrig ist, in den Boden. Das alles nur, weil Ihr nicht bereit seid, Eure Gewohnheiten, die noch aus Euren Bordellzeiten stammen, aufzugeben.«
»Es hat gesundheitliche Gründe.« Jean-François räusperte sich. In der Tat konnte man es als ungesund ansehen, in Flammen aufzugehen, setzte man sich dem Sonnenlicht aus.
»Gesundheitliche Gründe?« Blanchards Stimme kippte. »Über Eure Gesundheit braucht Ihr Euch keine Sorgen mehr zu machen, wenn Ihr den Hungertod erleidet, weil Ihr Euch die Aufträge wegnehmen lasst.«
»Von wegnehmen lassen kann keine Rede sein. Wir haben angeboten. Er hat ebenfalls angeboten und lag mit den Preisen weit unter den unseren. Noch weiter runter konnte ich nicht, ohne draufzulegen. Nicht um jeden Preis, sage ich.«
»Pah! Unmöglich! Auch ein Bourgueil hat die Weinsteuer zu zahlen. Er kann nicht viel unter unseren Preisen gelegen haben, ohne sich selbst zu ruinieren. Ich glaube es einfach nicht. Ein paar Tage bin ich nicht da und schon gerät alles außer Kontrolle.«
»Wir sind weit von Kontrollverlust entfernt. Zudem ist Estelle tagsüber im Geschäft.«
»Estelle, Estelle. Wer will seinen Wein schon bei einer alten Hure ordern?«
»So
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