Wolfsmondnacht (German Edition)
reist von Paris nach Dôle in einem Tag und einer Nacht. Du isst nichts, du trinkst nichts und wirst von Tag zu Tag blasser. Oder sollte ich sagen von Nacht zu Nacht? Tagsüber sehe ich dich nicht mehr. Arbeitest du da? Schreibst du in dieser Zeit Briefe, Angebote, Rechnungen oder was auch immer?«
»Ich werde immer für dich da sein, wenn du mich brauchst. Du bist mir wichtiger als die Geschäfte.«
Céleste sah ihn ernst an. »Das meinte ich nicht, mon frère . Ich habe Angst um dich. Ich mache mir Sorgen.«
»Das musst du nicht.«
»Ich muss es nicht?« Sie schüttelte den Kopf. »Oh, Jean-François. Ich kenne dich. Ich weiß zur Genüge, wie extrem du sein kannst. Wenn du dir ein Ziel gesetzt hast, strebt alles in dir in diese Richtung. Du gibst alles und mehr als das. Manchmal zu viel. Ich möchte nicht, dass du eines Tages daran zugrunde gehst.«
»Es besteht kein Grund zur Sorge.«
»Versprich es mir. Schwöre es.«
Er hob feierlich seine Hand zum Schwur. »Ich schwöre es, dass du dir um meine Gesundheit keine Sorgen machen musst. Jede Krankheit meidet mich, als hätte ich die Pest.«
»Haha, sehr witzig. Ich weiß doch, dass etwas mit dir nicht stimmt. Was treibst du tagsüber?«
»Schlafen.«
»Schlafen?«
» Oui .«
»Ich glaube dir nicht.«
»Ausnahmsweise sage ich die Wahrheit. Wenn ich tagsüber bei dir sein könnte, wäre ich es, ma petite cherie, doch es geht nicht. So musst du in den Nächten mit mir vorlieb nehmen.«
»Du willst mir nicht sagen, was mit dir los ist?«
» Non .«
»Du vertraust mir nicht?«
»Wenn es einen Menschen auf der Welt gibt, dem ich vertraue, dann bist du das. Ich vertrage die Sonne nicht mehr. Das ist alles.«
»Du windest dich heraus, du Schwindler.«
Jean-François schwieg.
»Es betrübt mich, dass du Morgen schon gehen willst.«
»Ich muss und es betrübt mich mehr, als du es dir vorstellen kannst. Doch ich verspreche dir, dass ich wiederkomme. Ich werde nach Möglichkeit auch zur Geburt deines Kindes hier sein, wenn du das möchtest.«
»Das wird Camille aber überhaupt nicht gefallen.«
Er hob die Achseln. »Camille hasst mich sowieso. Tiefer in ihre Ungnade kann ich nicht mehr fallen. Warum sollte es mich also interessieren, was sie denkt?«
»Sie kennt dich nicht wirklich.«
»Es ist immer gefährlich über jemanden zu urteilen, den man nicht kennt. Doch ich respektiere sie, weil sie gut zu dir ist und es auch zu deinem Kind sein wird.«
»Das hoffe ich.«
»Wie meinst du das?«
»Als ich ihr von dem Kind erzählte, hat sie mich als Hure beschimpft. Ich wäre wie meine Mutter.« Bitterkeit lag in Célestes Stimme.
»Sie wird sich wieder beruhigen.«
»Sie macht mir Vorwürfe, weil ich den Vater meines Kindes nicht heiraten werde. Er will mich nicht.«
»Das hat er gesagt?« Er hob eine Augenbraue.
»Gar nichts hat er gesagt. Verschwunden ist er, der Schuft!« Céleste schlug schluchzend die Hände vors Gesicht. Jean-François zog sie in seine Umarmung. Beruhigend strich er über ihre Arme und flüsterte ihr Worte zu, die er selbst gerne gehört hätte in den vergangenen Monaten.
Endlich verebbte ihr Weinen und wich einer Wut, die er in ihrem Blick erkannte. »Dieser Schuft!«, sagte sie immer wieder und ballte dabei die Hände zu Fäusten.
»Gehen wir lieber hinein«, sagte Céleste, als ihr Weinen verebbte. Sie erhoben sich vom Brunnenrand und gingen ins Haus.
»Ich fühle mich müde. Das liegt wahrscheinlich an der Schwangerschaft.«
Vor ihnen tauchte Tante Camille in der Dunkelheit des Flures auf. »Céleste wäre vielleicht nicht so geworden wie ihre Mutter«, sagte sie. »Es war dein schlechter Einfluss. Sonst hätte sie nicht gehurt.«
Jean-François spürte Wut in sich aufsteigen, den brennenden Wunsch, etwas zu zerstören, vorzugsweise Camille.
»Sie hat nicht gehurt, sondern mit einem Mann geschlafen, den sie liebte. Ist das eine Sünde? Für Euch gewiss. Ihr habt niemals bei einem Mann gelegen, nicht wahr?«
»Ich war verheiratet!«
»Oui, ein halbes Jahr lang, doch bezweifle ich, dass Bernard bei Euch zum Zuge kam. Auf Eurem Grabstein wird ›ungeöffnet zurück‹ stehen.«
Camille errötete. »Du wagst es, du unverschämter Teufelsbalg.«
»Sieh an, ich bin aufgestiegen. Vom Hurenbalg zur Teufelsbrut.« Jean-François lachte.
»Unverschämt! Wie unverschämt!«
»Wir müssen uns nicht lieben, Camille. Wir müssen uns nichtmals mögen. Wir müssen weder zusammenleben noch einer Meinung sein. Doch wenn es um
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