Wolfsmondnacht (German Edition)
alt ist sie nicht und außerdem hattet Ihr nichts dagegen, dass sie mit mir zusammenarbeitet.«
»Ich wusste nicht, dass sie in ihrer alten Profession so bekannt war.«
»Die Kunden kaufen lieber bei Bekannten, von denen sie nie betrogen wurden, anstatt von völlig Fremden.«
»Dennoch war sie eine Hure.«
»So wie ich.« Und wie Euer Eheweib , dachte Jean-François, verkniff sich die Bemerkung jedoch mühsam, da sie ihn nicht weiterbringen würde und er Juliette nicht deskreditieren wollte.
Blanchard fuhr sich durchs Haar. »Ihr seid begabt und zielstrebig. Ihr seid der beste Schüler, den ich je hatte und Ihr wisst es. Wenn Ihr doch nicht so sturköpfig wärt.« Blanchard schlug mit der Hand auf den Tisch. »Morgen seid Ihr um acht Uhr hier. Acht Uhr morgens! Oder wir vergessen unsere Partnerschaft, egal wie gut Ihr seid.«
Jean-François schluckte, denn er konnte diese Forderung unmöglich erfüllen.
» Bon , vergessen wir es. Lassen wir das Ganze platzen. Trennen wir uns.« Jean-François sprang von seinem Stuhl auf. Er war bereits bei der Tür, als Blanchard ihm hinterher rief.
»Und Eure Schulden? Eure Verantwortung für Eure Schwester?«
»Ich werde einen Weg finden. Ein eigenes Geschäft oder Nachtarbeit irgendwo. Es gibt immer Möglichkeiten. Au revoir , Monsieur Blanchard.«
Jean-François eilte hinaus und rannte die Straße entlang. Er war verzweifelt. Seine Haupteinkommensquelle war dahin. Weder konnte er tagsüber arbeiten, noch Blanchard sagen, dass er ein Bluttrinker war. Dieser würde ihn für komplett irre erklären und sich einen anderen Geschäftspartner suchen. Vermutlich hätte er dies bereits früher getan, wäre Jean-François trotz aller Hindernisse nicht so gut in seiner Profession.
Jetzt war alles vorbei. Die Gläubiger würden sich auf ihn stürzen wie Bluthunde. Sie würden ihn zerreißen und lebendig zerfetzen. Er war verloren. Doch nicht er allein. Céleste. Wovon sollten sie leben? Sie und ihr ungeborenes Kind.
Drei Nächte später
Direkt neben Jean-François ging plötzlich eine Tür auf. Ein altes Weib leerte ihren Nachttopf aus.
» Gardez l’eau .« Ihre Warnworte kamen zu spät. Wäre er noch ein Mensch gewesen, hätte ihn der Inhalt des Nachttopfs getroffen, doch jetzt war er schnell genug, um auszuweichen.
»Es tut mir leid, Monsieur«, sagte das alte Weib.
»Mir auch«, sagte Jean-François, als er sie an der Schulter packte und zu sich heranzog. Er verhinderte, dass sie schrie, indem er seinen Daumen auf ihren Kehlkopf drückte. Er biss in ihren Hals und sog das Blut aus ihr heraus. Der Nachttopf entglitt ihren Händen, fiel in den Rinnstein und rollte ein Stück des Weges entlang, bis er in Schmutz und Unrat liegen blieb.
Jean-François ließ von ihr ab. Er verschloss ihre Wunden mit seinem Blut. Hastig sah er sich um. Niemand war in der kleinen Straße. Er wickelte die Tote sorgfältig in seinen Umhang und trug sie eilig davon. Monsieur Mortemards Haus befand sich in derselben Straße, in der Jean-François wohnte. Bald erreichte er es und betätigte den ehernen Türklopfer.
Monsieur Mortemard öffnete ihm die Tür. » Bonsoir . Tretet ein!« Er führte ihn in einen Hinterraum, der recht dunkel gehalten war.
Vermutlich, damit man die Blutflecken nicht so sah , dachte Jean-François.
Monsieur Mortemard deutete auf einen Tisch. »Legt es dorthin.«
Jean-François legte die Leiche darauf. Er fragte sich, warum ein junger Mann wie Monsieur Mortemard in einer derartigen Gruft wohnen wollte. Wie auch in den beiden Nächten zuvor, zog der verblichene Totenschädel auf dem Regal Jean-François’ Blick an sich. Zwischen all den Tiegeln und Flaschen voller undefinierbarer Flüssigkeiten, Pulvern und zerstoßenen, getrockneten Kräutern lag er und starrte Jean-François aus tiefschwarzen Augenhöhlen an. Was schon so lange leer sein sollte, schien eine Art von Leben zu besitzen. Oder waren es nur Jean-François‘ überreizte Sinne, die ihm dies vorgaukelten?
»Ihr seid sehr zuverlässig«, sagte Monsieur Mortemard und überreichte ihm seinen Lohn. »Zuverlässiger als alle, die ich bisher kannte. Ich kann nur hoffen, dass dem so bleibt.«
»Verlasst Euch auf mich.« Jean-François lächelte schwach.
Monsieur Mortemard beugte sich über die Leiche des Weibes und untersuchte sie mit seinen feingliedrigen Fingern. Mit seiner langen gebogenen Nase und seiner Neigung zu dunkler Kleidung erinnerte ihn Monsieur Mortemard stets an eine Krähe.
Er strich sich eine
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