Wolfsmondnacht (German Edition)
Denkst du, es macht mir nichts aus, eine Last für dich zu sein?« Sie wandte ihr Gesicht ab, damit er ihre Tränen nicht sah, doch offenbar waren sie ihm nicht entgangen.
»Es tut mir leid, Céleste. Ich hätte das nicht zu dir sagen sollen und du darfst auch niemals denken, dass du oder Jeanne mir eine Last seid, denn das seid ihr mir niemals. Ich liebe euch.« Seine Stimme war plötzlich ganz sanft. Er zog sie in seine Arme und strich über ihr Haar.
»Eigentlich wollte ich es dir nicht sagen, weil ich befürchtete, du würdest dir Sorgen machen. Bevor Monsieur Mortemard kam, hatte ich das Gefühl, verfolgt zu werden.«
»Du wurdest verfolgt? Merde! Du solltest nicht allein so spät aus dem Haus.«
»Du kommst ja immer erst mitten in der Nacht nach Hause. Ich habe keine Lust, stundenlang auf dich zu warten. Monsieur Mortemard hat angeboten, mein Begleiter zu sein.«
»Das kann er vergessen!«
»Du hast mir immer noch nicht gesagt, was es mit diesem Monsieur Mortemard auf sich hat. Was verkaufst du ihm?«
»Etwas, das er für seine Profession benötigt.«
»Und was verschweigst du mir?«
»Manchmal ist es besser, nichts zu wissen.«
»Bist du in Schmuggelgeschäfte verwickelt?«
» Moi ?« Er sah sie unschuldig an. »Was denkst du von mir?«
»Du willst es mir also nicht sagen? Vertraust du mir nicht?«
»Wie ist der Name von Jeannes Vater?«
»Du weißt, dass ich ihn dir nicht sagen kann. Du würdest irgendetwas Unüberlegtes tun. Ihn töten oder Schlimmeres.«
»Keine schlechte Idee.«
»Du bist unmöglich«, sagte sie. » Bonne nuit, ma frère .«
Er erwiderte den Nachtgruß und küsste sie sachte auf Stirn und Mund. Ratlos sah sie ihm hinterher, wie er in seinem Büro verschwand. Merkwürdig, dabei war Monsieur Mortemard ihr so zuvorkommend und überaus freundlich erschienen. Was verbarg Jean-François vor ihr? Jean-François’ Warnung regte ihre Neugierde auf Monsieur Mortemard umso mehr an. Sie würde der Sache auf den Grund gehen.
Kapitel 10
Eine Woche später
Jean-François bog zufrieden lächelnd die Rue Froit-Mantel ab. Céleste war heute Morgen wieder abgereist und endlich in Sicherheit. Die ganze Zeit war er nervös gewesen, denn er konnte wohl kaum ständig bei ihr sein, um sie vor dem noch unbekannten Feind zu beschützen. Zudem war sie selbst unruhig, da sie nicht bei ihrer Tochter war.
Jean-François’ Lächeln erstarrte, als er den Mob vor seinem Haus erblickte.
»Da ist er, der Hexensohn«, erklang die schrille Stimme eines Weibes, das am Kopf der Meute stand. Es hatte mausfarbenes Haar. Das war noch das Auffälligste an ihm.
Der Mann neben ihm schüttelte drohend die Fäuste. »Ein Ketzer, ein gottloser Sünder. Tagsüber ruht er, um des Nachts seinen schwarzmagischen Praktiken nachzugehen.«
Soweit zu Gerüchten , dachte Jean-François und ließ seinen Blick über die Menge gleiten. Es waren etwa zwanzig Menschen, die sich vor seinem Haus versammelt hatten. Es war unmöglich, an ihnen vorbei zur Vordertür zu gelangen. So betrat er den Garten, von dem aus er die Hintertür erreichen würde. Zu seiner Verwunderung folgten sie ihm. Bisher waren die Katholiken nicht so militant gewesen, sein Privatgrundstück zu betreten.
Jean-François schlüpfte durch die Hintertür ins Haus. Er konnte sie gerade hinter sich verschließen, da hämmerten Fäuste von außen dagegen. Auch an die Vordertür schlugen sie. Sie schrien und drohten. Es würde nicht mehr lange dauern, da gäbe die Tür unter ihren Schlägen nach. Er wusste, dass der wütende Mob ihn lynchen würde, sollte er ihn erreichen.
Jean-François sprang aus dem Fenster und rannte quer durch den Garten. Der Weg zur Straße wurde ihm von der Meute versperrt. Sie folgten ihm von beiden Seiten. Jean-François beschleunigte und sprang über die Mauer aufs Nachbargrundstück. Er landete genau im Gemüsebeet der Madame Mouton, die ihn von ihrer Tür her anstarrte. Jean-François grüßte sie höflich, stolperte über ihren Sellerie, rappelte sich wieder auf und eilte an der anderen Seite des Gartens hinaus auf die Straße.
»Hier bin ich«, rief er der Meute zu, grinste unverschämt und rannte in eine der Nebengassen. Der Mob kam ihn hinterher.
»Brennen soll er! Seine verdorbene Seele werden wir zu Satan, seinem Herrn schicken!« Es waren überaus fromme Wünsche, mit denen ihn die Christen bedachten.
Diese fehlgeleiteten Menschen hielten ihn tatsächlich für einen Hexer. War da nicht ein Mann inmitten der
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