Wolfsmondnacht (German Edition)
den Stuhl. Die mit Weißstickerei verzierte Bettwäsche duftete nach Lavendel. Das Bett aus dunklem Holz sah mehr als einladend aus, doch er würde es nicht benutzen.
Als alle Geräusche im Haus verklungen waren, trat er wieder hinaus in den Flur und schlich durch den Gang. In Jacques’ Raum brannte noch Licht. Vorsichtig öffnete Jean-François die Haustür. Zu seinem Glück knarrte sie nicht.
Jean-François schlenderte die Straße entlang. Er genoss die Einsamkeit nach der Zeit mit Jacques. Als er einen gotischen Torbogen passierte, stieß ein Mann mit ihm zusammen. Jean-François umfasste blitzschnell dessen Hand, die in seine Tasche geglitten war. Der Dieb geriet in Panik und wollte sich losreißen, was ihm jedoch nicht gelang.
Jean-François zog ihn näher zu sich heran, hinein in den Schatten des Torbogens. Er spürte, wie sich der Dämon in ihm zu regen begann und seine Purpurschwingen entfaltete. Jean-François’ Hand glitt über den Mund des Mannes und erstickte jeden Laut. Er ergab sich dem Ruf und der Gier des Blutdämons und schlug seine Zähne in den Hals seines Opfers. Fremdes Blut durchströmte seine Adern und nährte seine Existenz. Brennende Flüsse breiteten sich in rasender Geschwindigkeit in ihm aus. Über alldem sah er den Dämon. Er sah dessen Schwingen und den grausamen Ausdruck in dessen schwarzen Augen. Es war eine der deutlichsten Visionen, die er jemals von ihm gehabt hatte. Allzu deutlich war ihm bewusst, dass dieser nur im Tod von ihm ablassen würde. Einem Tod, der ihn nur durch Feuer, Enthauptung oder Sonnenlicht ereilen konnte.
»Ewig«, sprach der Dämon, »für immer gehörst du mir.« Er lachte. Es klang, als befände sich dieser in einer Höhle. Dann war die Vision verschwunden. Nur der Geruch des Blutes hing noch in der Luft und der erschlaffende Leib des Mannes in seinen Armen. Leise und unregelmäßig war dessen Herzschlag. Jean-François ließ von ihm ab. Er starb, bevor er den Boden berührte.
Jean-François verließ den Torbogen und erhob sich in die Lüfte. Außerhalb der Stadt erblickte er einen Friedhof. Ein Mausoleum zog ihn an. Dort unter den Toten würde er ruhen, gestorben und dennoch lebendig im Tode.
Eine Woche später
»Ein Hexer ist er. Ich habe es selbst gesehen, wie er einen Dämon seinem Willen unterworfen hat.« Jacques Stimme war bereits undeutlich von zu vielem Wein.
Dieser Denunziant , dachte Jean-François, während er durch die Menschenmenge eilte. Die Menschen wichen ihm instinktiv aus, dennoch störten ihn ihre Gerüche nach Schweiß, Alkohol und altem Fett. Er stieß eine Dirne beiseite, die sich dreist an seinen Arm hängen wollte.
Zielstrebig kam er auf Jacques zu. »Würdest du deine Worte noch einmal wiederholen?«, fragte er Jacques, der ihn aus vor Schock weit aufgerissenen Augen anstarrte.
Jacques zögerte nur kurz. »Dass du ein Hexer bist? Das weiß jetzt jeder.« Er spie vor Jean-François auf den Boden.
»Etwas mehr Anstand.« Jean-François spürte, wie seine Wut zunahm.
»Ich weiche nicht vor dem Bösen zurück.« Jacques lachte meckernd. Dennoch entgingen Jean-François nicht dessen Unsicherheit und der widerliche Geruch der Angst, den er verströmte.
Jacques spie noch einmal, diesmal in Jean-François Gesicht. Damit ging er eindeutig zu weit.
Jean-François packte ihn an seiner Kehle und presste ihn gegen die nächste Wand. »Verbreite nie wieder Lügen über mich. Hast du verstanden?«
Speichel lief aus Jacques’ Mundwinkel. »Lügen? Ich weiß, was ich gesehen habe.«
Jean-François packte ihn ein bisschen fester. Der alte Mann gab ein ersticktes Gurgeln von sich.
»Erzähle nie wieder so etwas über mich.«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Du begehst einen Fehler, mich zu bedrohen.«
»Ich drohe dir nicht. Nimmst du deine Worte zurück?«
» Non . Ich habe nichts als die Wahrheit gesagt.«
Jean-François starrte ihn an. »Das mit dieser Kreatur war Notwehr. Das weißt du genau«, sagte er so leise, dass nur Jacques ihn verstehen konnte.
»Das ist mir gleichgültig. Ich weiß, dass du ein Hexer bist. Sonst würdest du nicht tagsüber verschwinden und nachts wieder erscheinen. Oder denkst du, ich sei blöd? Und jetzt nimm deine dreckigen Hände von mir und hau ab«, sagte Jacques.
Jean-François ließ von ihm ab, blieb jedoch weiterhin dicht vor ihm stehen. »Ich will, dass du deine Lügen zurücknimmst und endlich die Wahrheit sagst.«
» Casse-toi, pauvre con! « Jacques riss eine Flasche vom Tisch und
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