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Wolfspfade 6

Wolfspfade 6

Titel: Wolfspfade 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
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vor mir aufragte.
    Der Mann war so tief gebräunt, blond und muskulös, dass er ein Surfer aus einem der Annette-Funicello-Filme hätte sein können, über die Katie und ich uns samstagnachmittags immer totgelacht hatten. Trotz der Jugendlichkeit seines Gesichts schienen seine Frisur und Bekleidung den Fünfzigern entsprungen zu sein.
    Er hatte einen Bürstenhaarschnitt, wie ich ihn schon seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, und aus seinen Shorts, die fast so kurz waren wie seine Haare, ragten muskulöse, sehnige Oberschenkel hervor. Er trug ein weißes Tanktop, das seine kräftigen Arme zur Geltung brachte. Ich wusste nicht, was ich von ihm halten sollte.
    „Wo ist er?“, blaffte der Mann mich an.
    „Wer?“
    „Der Alpha, der Meister, mein Herr.“
    Na toll.
    „Ähm, könnten Sie vielleicht etwas genauer werden?“ Ich schob mich behutsam zur Vordertür. Der Irre folgte mir auf dem Fuß.
    „Er, der allmächtig ist. Dem alle Tiere entstammen.“ Mit einem einzigen Satz hatte er mich eingeholt; er packte mich am Kragen meines Schlafanzugs und zog mein Gesicht dicht vor seins.
    Sein Atem stank faulig; ich wollte nicht wissen, was er zuletzt gegessen hatte. Seine Zähne waren erstaunlich weiß und ziemlich spitz. Ich lehnte mich so weit nach hinten, wie ich konnte, aber er zerrte mich noch ein Stück näher zu sich, dann vergrub er die Nase in meinem Haar und schnüffelte.
    Er nuschelte etwas, das verdächtig nach „Mutter“ klang, und leckte über mein Schlüsselbein. Ich bekam eine Gänsehaut und rammte blitzschnell und mit voller Wucht mein Knie nach oben.
    Mit einer Wendigkeit, wie ich sie nie zuvor erlebt hatte, wirbelte er von mir weg, bevor mein Knie ins Ziel treffen konnte. Aber wenigstens ließ er von mir ab. Bei seinem Knurren stellten sich mir die Härchen an den Armen auf. Ich gebe das nicht gern zu, aber ich ergriff die Flucht.
    Ich kam nicht weit, bevor er mich an den Haaren zu fassen bekam und zu Boden stieß. Seine Augen schienen in dem dämmrigen Licht zu glühen, und sein Lächeln war wild. Ich würde sterben, nur wahrscheinlich nicht schnell genug.
    „Lass sie in Frieden.“ Die Worte wurden leise gesprochen, trotzdem haftete ihnen ein befehlender Unterton an. Ich blickte auf, und mein Angreifer tat es mir nach.
    Wo auch immer John Rodolfo gesteckt haben mochte, er sah nicht schlechter aus als zuvor. Er war ganz in Schwarz gekleidet und trug wie immer seine Sonnenbrille.
    Ich fand keine Spur von Blutergüssen in seinem Gesicht; die Hand, in der er seinen weißen Stock mit der roten Spitze hielt, zeigte nicht einen einzigen Kratzer. Er verfügte tatsächlich über gutes Heilfleisch. Er bewegte sich mit der intuitiven Anmut, die mir bereits bei unserer ersten Begegnung aufgefallen war. Trotz seiner Blindheit bewegte er sich mit mehr Selbstvertrauen als jeder andere Mann, den ich kannte. Falls eine seiner Rippen gebrochen war, gab er das durch nichts zu erkennen.
    „Gehört sie dir?“, fragte der Mann.
    Rodolfo lehnte seinen Stock gegen die nächste Wand, zog ein letztes Mal an der Zigarette, die er in der anderen Hand hielt, trat sie mit dem Fuß aus und murmelte: „Ja.“
    Ich öffnete den Mund, um zu protestieren, dann klappte ich ihn wieder zu. Lieber gehörte ich Rodolfo als diesem Irren.
    „Ich will sie haben.“
    „Nein.“
    Keine Ahnung, wie er irgendetwas in dem winzigen Fetzen, der ihm als Hose diente, verwahren konnte, jedenfalls fasste der Kerl in seine Tasche und zog ein langes, schmales Metallobjekt heraus. Er ließ das Handgelenk kreisen, und das unverkennbare Sirren eines Springmessers erklang.
    „Bist du mir ebenbürtig?“, grunzte er.
    Rodolfos Lächeln war keinen Deut weniger wild. „Lass es uns herausfinden.“
    Ich rappelte mich auf die Füße, dabei etwas vor mich hinächzend, das ein Einspruch sein sollte, offenbar jedoch reines Kauderwelsch war, weil die beiden Männer mich nämlich komplett ignorierten, während sie aufeinander losgingen.
    Panik erfasste mich. Wie um alles in der Welt sollte Rodolfo gegen einen Sehenden kämpfen, ganz zu schweigen von einem sehenden Irren mit einem Messer?
    Ich entschied, dass ich lieber die Polizei rufen sollte, und wollte zu dem Telefon hinter dem Tresen stürzen, aber noch bevor ich zwei Schritte weit gekommen war, konnte ich nicht anders, als innezuhalten und die beiden völlig fasziniert zu beobachten.
    Rodolfo duckte sich unter dem ersten Hieb weg, gleich darauf wich er dem zweiten, der nur Zentimeter vor seiner Nase

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