Wolfspfade 6
durch die Stadt spazieren lassen.“ Er zeigte mit dem Daumen zu dem Mann auf dem Boden. „Sie waren Wolfsbeute.“
„Hey!“
„Entschuldigung“, brummte er. „Wir sind nun mal nicht die nettesten Menschen auf der Welt, wenn es darum geht, unseren Job zu machen.“
„Wer ist wir und was für ein Job?“
„Das kann ich Ihnen nicht sagen.“
Ich runzelte die Stirn. „Wer kann es dann? In Anbetracht der Tatsache, dass ich Wolfsbeute war, verdiene ich eine Antwort.“
„Da stimme ich Ihnen zu, trotzdem bin ich nicht der richtige Ansprechpartner.“ Er bückte sich, packte Sullivan an den Knöcheln und schleifte ihn über den Boden. „Mein Laster steht draußen. Könnten Sie mir eventuell zur Hand gehen?“
Ich hatte nicht die Absicht, mich je wieder in Sullivans Nähe zu wagen. Er jagte mir eine Höllenangst ein. Was wirklich grotesk war, nachdem ich mich bis vor wenigen Tagen in seiner Nähe hundertprozentig sicher gefühlt hatte.
Glücklicherweise schien Murphy meine Hilfe nicht wirklich zu benötigen. Er zog Sullivan in den Flur, und ich folgte ihm bis zur Tür, bevor ich kehrtmachte und den Müllhaufen in der Ecke durchstöberte, bis ich meine Gürteltasche fand. Ich würde das scharfe Silberinstrument, das sie enthielt, nie wieder aus meiner Reichweite lassen.
Als ich wieder zu Murphy stieß, lud er gerade Sullivans reglose Masse auf eine metallene Hebebühne unterhalb der offenen Hecktür seines Fahrzeugs. Es war nicht wirklich ein Laster, sondern einer dieser großen, weißen Lieferwagen, wie ihn Serienkiller auf der ganzen Welt benutzten.
Ich sah ihn aus schmalen Augen an. „Was haben Sie mit ihm vor?“
„Ist das wichtig?“ Seine Stimme klang angestrengt, als er Sullivan in den Wagen hievte, die Hebebühne hochfuhr und die Tür zuknallte.
Die Fensterscheiben waren getönt. Murphy schob ein Vorhängeschloss durch die Griffe und ließ es einrasten. Ich spähte durch die Beifahrerseite ins Innere und stellte fest, dass der Ladebereich des Transporters durch ein massives Gitter, das aus Silber zu bestehen schien, vom Vorderteil abtrennt war. Murphy machte keine halben Sachen.
Ich zögerte, bevor ich seine Frage beantwortete. War es wichtig? Diese Kreatur, mit der ich in dem verlassenen Gebäude aneinandergeraten war, konnte für mich gar nicht schnell genug sterben. Aber der Mensch? Er war es wert, gerettet zu werden.
„Kann man ihn heilen?“
„Cassandra behauptet, ja.“
„Mittels Voodoo?“
„Er wurde nicht verflucht, sondern gebissen. Voodoo wird ihm da nicht helfen.“
„Was dann?“
„Es gibt eine Frau, die die Fähigkeit besitzt, sie wieder zu dem zu machen, was sie früher waren.“
„Welche Art von Fähigkeit ist das?“
„Keine Ahnung. Irgendeine schaurige.“
Vor nicht allzu langer Zeit hätte ich Murphy für verrückt gehalten; jetzt war ich mir nicht mehr so sicher. Ich hatte einen Werwolf gesehen. Verdammt, ich hatte sogar zwei gesehen. Woher wollte ich wissen, ob nicht irgendeine unbekannte Frau die Macht hatte, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen?
„Wo ist sie?“, fragte ich.
„Schon auf dem Weg. Wir werden Sullivan bis zu ihrem Eintreffen im Haus der Ruelles festhalten. Sie musste sich erst noch um einen Notfall kümmern.“
„Ist sie Ärztin?“
„Ja.“
„Sagen Sie ihr, dass er eine ziemlich schlimme Verletzung am Oberschenkel hat.“
„Das bezweifle ich.“
„Er hat furchtbar geblutet …“
„Werwölfe genesen unwahrscheinlich schnell. Bis sie ihn untersucht, wird ihm nichts mehr fehlen.“ Devon legte den Kopf schräg, und sein Ohrring funkelte. „Wie haben Sie ihn überhaupt verwundet?“
„Das war ich nicht. Der andere Wolf …“
Er runzelte die Stirn. „Was für ein anderer Wolf?“
„Schwarz, blaue Augen. Sie haben ihn nicht …“
Ich brach ab. Das Tier war vor Murphys Eintreffen geflüchtet, vermutlich, weil es ihn hatte kommen hören.
Murphys Augen scannten die Umgebung. An der Anspannung in seinen Armen und seinem Oberkörper, die ich mühelos erkennen konnte, denn ich trug ja sein T-Shirt, erkannte ich, dass er nicht nur extrem wachsam, sondern auch nervös war.
Ich folgte seinem Blick. Die leer stehenden Gebäude hoben sich als graue Schemen gegen die indigoblaue Nacht ab. Nichts rührte sich, außer uns und dem Wind. Falls der schwarze Wolf hier war, konnte ich ihn nicht sehen. Falls die Frau, die ich verfolgt hatte, in der Nähe war, konnte ich sie auch nicht sehen.
„Ich muss jemanden hinzuziehen, der sich
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