Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
Vom Netzwerk:
er reagierte nicht; und später in jener Nacht, als sie unter das dicke Büffelfell krochen, lag sie auf ihm, versuchte sie, ihn zu erregen, lockte ihn mit kleinen Schreien und winzigen Bewegungen. Aber obwohl sie seine Leidenschaft weckte, schien es ihr, als weilte sein Geist an einem Ort, an dem sie ihn nicht erreichen konnte.

11
    Dakota-Territorium
    Vollmond
     
    Seit sie einander zum ersten Mal erblickt hatten, hatte sich Natalia Petrowna kein einziges Mal dazu herabgelassen, mit Speranza zu sprechen. Tagsüber zog der Konvoi über die Yuccabedeckten Hügel nach Norden, samt Karren und Packtieren. Der Regen erschwerte das Vorankommen und ließ die Grassamen duften. Speranza teilte ihren Wagen mit Johnny und dem Zeitungsburschen. Nachts errichteten die Diener des Grafen Zelte: einen großen Pavillon für den Grafen und seine Madonna, kleinere, nach Rang geordnete Zelte für die niedrigeren Wölfe, und winzige Tipis für die Menschen. Die Wölfe versammelten sich währenddessen um das Lagerfeuer und erzählten reihum von ihren Heldentaten oder von den Verfolgungen in der Alten Welt. Oder sie spielten Poker. Sie genossen ihre Freiheit, und sie lachten oft und laut. Es war kaum zu glauben, dass das Blutbad im Zug zwischen Omaha und Cheyenne Teil ihres Planes gewesen war.
    Wie es seinem Rang entsprach, nächtigte der Sohn des Grafen im Pavillon seines Vaters. Speranza wusste nicht, mit welchen Bösartigkeiten er dort indoktriniert wurde, aber tagsüber versuchte sie, so viel wiedergutzumachen wie möglich, indem sie mit ihm spielte oder ihn lateinische Verben konjugieren ließ und ihm all ihre Zuneigung schenkte, trotz der seltsamen Metamorphosen, denen er inzwischen unterworfen war. Es wurde immer schwieriger. Johnny Kindred wurde mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt, und Jonas Kay wurde immer stärker. Sie vermutete, dass Johnny nur noch in ihrer Gegenwart auftauchte und vollkommen unterdrückt wurde, sobald der Junge bei seinem Vater war.
    Sie teilte ihr Zelt mit Teddy Grumiaux. Nachts schlüpfte
der Graf wie ein Schatten hinein und hinaus. Er machte kein Geräusch, und Speranza glaubte nicht, dass Teddy dadurch geweckt wurde; aber ein- oder zweimal entwich ihr ein Schrei. Es verwirrte und beschämte sie, dass sie solches Vergnügen empfand; und sie stellte sich vor, wie der Junge von seinem Lager am gegenüberliegenden Ende des Zeltes, wo er in seine Decke gewickelt lag, mit weit aufgerissenen Augen herüberstarrte, und der Gedanke ließ sie nicht mehr los und hielt sie noch lange wach, nachdem der Graf wieder verschwunden war.
     
    Als der Tag des Vollmonds dämmerte, wusste sie, dass sie Teddy erklären musste, mit was für Wesen sie zusammen waren. Die drei saßen wieder in ihrem Wagen, zusammengekauert vor den riesigen Leinwandballen. Der Wagen knarzte und schaukelte, Töpfe und Pfannen schlugen aneinander, während sie bergauf holperten, die aufgehende Sonne zu ihrer Rechten. Sie hatte in ihrer Bibel gelesen; als sie aufsah, merkte sie, dass sie mit Teddy allein war. Johnny stöberte hinten zwischen den Stoffballen herum.
    Sie legte die Bibel beiseite. Sie hatte soeben die Stelle gelesen: »Und der Wolf wird neben dem Lamme liegen«, und die Erinnerung an die vergangene Nacht war so intensiv gewesen, dass sie vor Scham errötete. Sie senkte schnell den Blick, denn sie befürchtete, jemand könnte es bemerken, aber zu spät - der Halbwüchsige sagte: »Sind Sie krank, Madam? Sie sehen aus, als hätten Sie Fieber.«
    »O Teddy, ich muss dir etwas Wichtiges sagen. Aber du wirst mich für verrückt halten.«
    »Etwas über Werwölfe.«
    »Du hast noch keine … Transformationen gesehen.«
    »Ich weiß es, seit wir nach Norden ziehen. Ich hab Augen hinten im Kopf und Ohren im Hosenboden, Madam. Ich bin vielleicht nicht zur Schule gegangen, aber ich bin nicht blöd.
Ich hab gesehen, wie sich Johnny benimmt. Er ist keiner von uns und keiner von denen.«
    »Deshalb bin ich immer noch hier.«
    »Schätze, Sie woll’n ihn irgendwie zum Mensch machen«, vermutete Teddy. Er fischte einen Pfriem aus seinen Hosentaschen und bot ihn ihr an; sie lehnte ab. »Verwandeln sie sich wirklich?«
    »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«
    Teddy atmete tief durch und schwieg eine Weile. Der Wagen schwankte hin und her, und in unregelmäßigen Abständen hörte sie Johnny hinten einen imaginären Feind beschimpfen.
    »Und wenn sie sich verwandeln - was essen sie dann?«
    Speranza senkte den Kopf. »Ich habe Dinge gesehen,

Weitere Kostenlose Bücher