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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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Gedanke kam - wie Orangensoufflé. Eine delikate Sache, diese Angst.
    Er wusste, dass auch sein Vater sie roch, denn der Graf von Bächl-Wölfling lächelte leicht und begrüßte ihn: »Mein Sohn.« Er erhob sich, streckte seine Arme aus, und sein blutroter seidener Morgenrock flatterte in der leichten Brise. Jonas rief aus:
»Vater, Vater!«, und rannte los, um ihn zu umarmen. Unter der Seide spürte er die harten, animalischen Muskeln, das raue Wolfshaar. Obwohl die Nacht noch weit entfernt war, wirkte die Kraft des Mondes bereits ein wenig.
    »Vater«, knurrte Jonas. »Ich bin stark geworden. Ich brauche diese Erzieherin nicht mehr.«
    Der Graf legte einen Finger auf die Lippen des Jungen. »Vielleicht nicht. Aber jetzt … brauche ich sie leider, mein Kind.« Er lächelte nachsichtig und ohne auf die Verwandlung des Jungen einzugehen. Sah er nicht, dass Johnny fort war, verbannt in die Tiefen des Waldes?
    »Schwächling! Du solltest dein Volk führen! Du solltest dich nicht mit Menschen abgeben!« Jonas entblößte sein Gebiss. Wo waren seine Fangzähne? Er konnte sie spüren, Phantomzähne, die sich aus seinem Kiefer drängten. Wo war der Mond? Verzweifelt schlug er mit schwachen Fäusten zu, denen die Klauen fehlten.
    Sein Vater versetzte ihm eine Ohrfeige. Dann sagte er, ohne die Stimme über ein Flüstern zu erheben! »Du hast noch viel zu lernen, Welpe. Ich bin der Führer, nicht du. Vielleicht wirst du eines Tages den Mut haben, mich herauszufordern, vielleicht wirst du mich sogar töten; diese Möglichkeit zog ich in Betracht, als ich dich zeugte. Aber noch wirst du dich mir unterordnen.«
    »Trotzdem«, mischte sich Natalia ein, »finde ich, dass er recht hat, Hartmut. Wir sollten sie fortschicken oder besser gleich töten.«
    »Unsinn, Natalia«, wies sie der Graf zurecht. Und zu dem Jungen sagte er: »Du hast sie so geliebt.«
    Jonas’ Gesicht brannte. Er blickte Natalia tief in die Augen. Vielleicht war sie seine Verbündete.
    Sie sagte: »Mein lieber Hartmut, wenn ich verstoßen werden soll, dann lass es bald geschehen. Ich ertrage deine Unentschiedenheit nicht. Dort kommt sie.«

    Jonas drehte sich um und sah sie den Hügel heraufklettern. Sie war kein willkommener Gast, passte nicht zu den fröhlich gekleideten Feiernden. Hinter ihr marschierte der schmutzige Bursche, mit dem Johnny befreundet gewesen war. Nach Einbruch der Dunkelheit würde er sich seiner zuerst entledigen. Als sie näher kam, spürte Jonas noch jemand in seinem Inneren, am Rande der Lichtung. Johnny versuchte den Körper wieder zu übernehmen. Wie unangenehm! Die anderen konnte er kontrollieren, aber Johnny hatte Kraft, obwohl er so kindisch und empfindlich war. Er hörte es schon wieder, dieses nervtötende Greinen: »Lass mich raus! Ich will mit ihr sprechen! Ich will mit ihr sprechen!«
    »Nein!« Jonas gab sich alle Mühe, seine Erregung nicht zu zeigen. Aber die Muskeln in seinem Gesicht zuckten, verzerrten seinen Mund zu einer infantilen Schnute, pressten die Flüssigkeit aus seinen Tränenkanälen, und plötzlich war Johnny auf der Lichtung, und Jonas wurde in die Dunkelheit gezerrt.
     
    Es war noch nicht alles verloren. Erst hatte das Kind geknurrt und sie angefaucht, aber dann waren ganz überraschend Tränen aus seinen Augen geflossen. Er hatte sie traurig angeschaut und fast so fehl am Platze gewirkt wie sie selbst.
    »Mein Sohn hat mich gerade darüber informiert«, erklärte ihr der Graf, »dass er keine Gouvernante mehr braucht.«
    Sie ermahnte sich, dass sie ihn ablenken musste, damit Teddy ein Pferd stehlen konnte. Aber ihr fiel nichts ein, was nicht wie eine Szene aus einem Groschenroman gewirkt hätte, deshalb nahm sie all ihren Mut zusammen, warf sich dem Grafen zu Füßen, überschlug sich beinahe, spürte ihr Korsett auf den Magen drücken.
    »Speranza!«
    »Was für ein Augenblick, mir das zu sagen!«, jammerte sie. »Nachdem ich alles verlassen habe, was mir lieb und teuer war,
nachdem ich entehrt und auf die widerwärtigste Weise missbraucht wurde.«
    Sie hielt inne. Die Gäste des Grafen lachten über sie! Und der Graf selbst lächelte selbstzufrieden und streichelte ihr den Kopf, zuversichtlich, dass sie ihm jetzt ganz und gar gehörte. »Ich habe nicht gesagt«, beschwichtigte der Graf, »dass ich die Meinung meines Sohnes teile.«
    »Es reicht!« Natalia Petrowna ergriff das Wort. »Ich werde mir diese Frau ansehen, die mir den Rang streitig machen will.«
    »Das habe ich keinesfalls im Sinn!«,

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