Wolfsruf
von einem Adligen Befehle entgegennehmen zu müssen. Ich habe eigene Pläne, Madam, fantastische Pläne. Der Wolfsjunge hat mich darauf gebracht. Aber ich wäre Ihnen sehr dankbar für einen Laib Brot und eine oder zwei Flaschen heiliges Wasser, wie die Indianer es nennen.« Er leerte das zweite Glas Wein. »Fleisch kann ich mir selbst besorgen«, fügte er hinzu und schüttelte kurz den Ärmel, worauf ein Derringer in seiner Handfläche erschien.
»Wie Sie wünschen«, sagte Speranza und befahl den Bediensteten, ihm frischen Proviant zu bringen.
»Und wenn Sie mir ein frisches Pferd verkaufen könnten - unglücklicherweise wurde das Tier, das ich in Big Springs gestohlen habe, vor kaum einer Stunde von einem Rudel Wölfe überfallen - die wildesten, gefährlichsten Bestien, die ich je sah. Aber mir haben sie kein Haar gekrümmt.«
Speranza fiel erst jetzt auf, dass Claggart eine silberne Uhrkette trug, die aus seiner Westentasche baumelte, und dass seine Manschetten mit Silber besetzt waren. Um seinen Hals hing eine schwere Silberkette, an der irgendein türkises Amulett oder ein Talisman befestigt war. Ahnte er überhaupt, wie knapp er dem Tod entronnen war? »Das Pferd?«, wiederholte er seine Frage.
»Leider kann ich hier keine Befehle erteilen.«
»Ich kann Ihnen kein Geld dafür geben, aber ich kann Ihrem Grafen ein Geschenk machen, das ihm sehr am Herzen liegt … mein Schweigen, Mademäusel Martinique.«
Er sah ihr geradewegs in die Augen. Sie wusste nicht, wie ernst seine Drohung gemeint war, oder ob man ihm überhaupt glauben würde; sie hatte den Eindruck, dass der Graf all jene, welche die Geschicke des Dakota-Territoriums lenkten, bereits mit seinem Gold bedacht hatte. Und trotzdem - Hartmut würde kein Risiko eingehen wollen.
Speranza nickte. Sie gab dem Lakai ein Zeichen. »Er soll bekommen, was er verlangt«, sagte sie. »Und sorgen Sie dafür, dass er von hier forteskortiert wird … wenn nötig, bis Deadwood.« Der Lakai verbeugte und beeilte sich, ihren Befehlen nachzukommen. Sie halten mich schon für die nächste Madonna der Wölfe, dachte sie. Aber was war mit Natalia? Vielleicht müssen wir um diese Rolle kämpfen. Auf den Tod, wie zwei römische Gladiatorinnen.
Sie sah ihm nach, als er davonritt. Wenn seine Ankunft sie auch beunruhigt hatte, so freute sie seine Abreise trotzdem nicht. Vishnevsky beobachtete sie immer noch aus seinem Wagen heraus.
Warum interessierte sich Cordwainer Claggart für den Jungen? Was hatte er entdeckt, und zu welchem großartigen Plan wurde er durch ihren Schützling inspiriert? Unverwandt blickte sie nach Norden, wartete auf die Rückkehr der Wölfe, entschlossen, nicht einzuschlafen, denn wenn ihr Leben schon ein Albtraum war, um wie viel mehr dann ihr Schlaf.
Scott konnte nichts dagegen tun. Die Russin rief ihn. Vielleicht war sie verletzt, vielleicht hatten die Wölfe sie verwundet. Er riss sich von Zeke und dem jungen Halbblut los, das ihn so fatal an jemand anderen erinnerte. Er machte sich gar keine Gedanken darüber, was für einen unwahrscheinlichen Zufall es darstellte, dass Natalia am Rande eben jenes Dorfes stand, in das Sanderson ihn geschickt hatte. Sobald sie ihn ansah, konnte er nicht mehr klar denken. Er vergaß Major Sanderson und seinen Auftrag, Zeke zu verhaften. Er dachte nur noch an diese Frau mit den goldenen Augen und jenem angedeuteten Lächeln.
»Das ist doch Captain Harper!«, begrüßte sie ihn mit süßer Stimme. »Und so weit von Fort Cassandra weg.« Sie streckte ihm ihre behandschuhte Hand entgegen. »Sie müssen mir über Fluss helfen. Ich bin eine so schwache Frau.«
»Sie sollten hier nicht sein, Madam.« Er starrte auf den Pelzstreifen, der ihr Gesicht entstellte.
Zeke und der Junge riefen ihn, blieben aber in dem Kreis. Der alte Medizinmann - wenn es einer war - tanzte wie wild, und die verrückten Wölfe rissen im Dorf die Tipis um. Scott hatte nur Augen für die Frau.
Er reichte ihr seine Hand. Sie sagte: »Ich muss zu den Wölfen, Sie verstehen.«
Er stellte ihr keine Fragen. Er war wie gebannt. Er nahm sie in seine Arme und trug sie durch den Bach. Ein animalischer Geruch haftete ihr an, kaum unter dem Parfüm verborgen, der ihn zum Wahnsinn trieb, sein Verlangen steigerte. Sie klammerte sich an ihn. Ihre Zunge glitt über die feuchten Lippen. »Ich habe dich immer gewollt«, sagte sie. »Ich wollte dich auf dem Friedhof. Ich wollte dich auf dem Fest. Aber du bist vor mir geflohen, nicht?«
»Ich wusste
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