Wolfsruf
Kleingeld für Essen und Trinken, und ein fetter runder Silberdollar für eine Hure. Jedenfalls hatte Teddy Grumiaux ihn dafür vorgesehen. Immerhin war er jetzt ein Mann - schon fast fünfzehn -, und in den Bergen, wo er mit dem Deserteur lebte, gab es kaum Gelegenheit für einen Mann, seinen Penis zu gebrauchen.
Vor allem, wenn der Deserteur sich immer wieder in einen Wolf verwandelte.
Die letzten beiden Jahre waren schwer gewesen. Die Sioux hatten ihnen angeboten, in ihrem Dorf zu bleiben, aber Scott befürchtete, dass man in Fort Cassandra irgendwie Wind davon bekommen könnte oder dass ein Crow-Scout sie entdecken würde. Sie hatten ein paar Höhlen in den Black Hills gefunden, im heiligen Bezirk der Sioux. Scott durfte sich natürlich in der Stadt nicht blicken lassen, deshalb übernahm Teddy diese Aufgaben; er stahl ab und zu etwas und überbrachte auch der Chinesin die Nachricht von Claude-Achilles Tod. Er würde nie vergessen, wie sie, ohne eine Träne zu vergießen, mit gesenktem Kopf in ihrem gelben Baumwollkleid vor ihm stand und sich dann ohne ein weiteres Wort daran machte, Teddy ein Essen zu kochen. Sie war fast wie eine Indianerin, so vollkommen verschloss sie den Schmerz in ihrem Innern. Und weil er
wusste, dass er ihr vertrauen konnte, erzählte er ihr, wie sie ihn und Scott erreichen konnte; während der letzten Jahre war sie ein paar Mal hinausgekommen in die Berge, meist mit einem Schinken und einem Laib Brot bepackt, der in der Woche, die sie für den Weg benötigte, hart geworden war. Und sie brachte ihnen Silber für die Kugeln.
Der Ärger mit den Wölfen hatte begonnen, nachdem der Graf und seine Freunde nach Winter Eyes gekommen waren. Es war nicht mehr so leicht, sie anzugreifen; sie waren ständig auf der Hut. Wenn der Mond voll war, ging das Rudel auf die Jagd. Sie töteten Indianer und Weiße, manchmal ebenfalls Pferde und Rinder, wenn auch nicht so gerne.
Und bei jedem Vollmond musste sich Teddy um Scott Sorgen machen. Er gehörte noch nicht ganz zu ihnen, aber beide wussten, dass dieser Tag nicht mehr fern war. Deshalb zog sich Scott bei zunehmendem Mond in den hintersten Winkel der Höhle zurück und dichtete den Eingang mit allem trockenen Holz ab, das er finden konnte. Die Nächte über saßen sie im Dunklen, und Teddy hörte nur seinen Freund atmen. Gestank, der ihm beinahe den Atem raubte, zog durch die Höhle. Am liebsten wäre er hinausgerannt an die frische Luft, aber er bewegte sich nicht. Er stellte sich vor, wie Scott sich ganz allmählich veränderte. Er hockte in einem Kreis von Silbermünzen. Es war ein bisschen wie die heiligen Kreise der Indianer. Schutz. Er wusste, dass Scott sich eines Tages ganz verwandeln würde. Vor allem dann, wenn er die Russin noch einmal zu Gesicht bekommen sollte.
Selbst wenn kein Vollmond war, erkannte Scott, wer ein Werwolf war und wer nicht. Teddy wusste, dass er Wolfssinne besaß, auch wenn er wie ein Mensch aussah. Manchmal schnupperte er oder schaute er von einer Seite zur anderen wie ein Tier.
Sie erschossen nur drei Werwölfe in den zwei Jahren: die Zigeunerin, Pater Alexandros und einen dritten, der nicht auf
der Zugfahrt von Omaha dabei gewesen war. Das bedeutete, dass die Wölfe neue Opfer rekrutierten.
Echte Wölfe erschossen sie zu Dutzenden. Auf Wölfe war eine Prämie ausgesetzt, und manchmal konnte man doppelt so viel Gold kassieren, indem man die Ohren in einem County und den Schweif in einem anderen County ablieferte. Um echte Wölfe zu schießen, brauchte man kein Silber, aber es war eine gute Übung. Sie waren Ungeziefer, nicht mehr, nicht weniger.
In der gleichen Nacht, als die Werwölfe den Goldgräbertrupp ermordeten, hatte die Chinesin ihn und Scott besucht. Sie hörten alles - die Schreie, das Heulen, das Zerreißen von Fleisch im Tal unterhalb ihrer Höhle.
Sie saßen zu dritt im Dunklen und lauschten, lauschten. Scott murmelte vor sich hin, und Teddy fragte sich, ob er bereits in die Wolfssprache verfallen war, dieses leise Knurren, das einem Gänsehaut machte. Die Chinesin sagte kein einziges Wort. Sie hatte ihnen am Mittag einen Hasen gebraten, auf chinesische Art mit gehacktem Gemüse.
Teddy wollte Scott nicht alleinlassen, weil er fürchtete, dass er sich verwandeln könnte. Außerdem hatte er keine Lust, allein gegen die rasende Wolfsmeute anzukämpfen, und sie hatten auch nicht genug Silbermunition übrig. So saßen sie schweigend da und lauschten dem Lärm in der Nacht.
Am nächsten Abend kamen die
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