Wolfsruf
Ishnazuyai umarmte ihn - hatte er ihn nicht »Vater, Vater« genannt? - und versuchte, ihn zu wärmen, denn der Knabe zitterte, und sein Schweiß war kalt wie das Eis im Winter.
Mit gesenktem Schweif floh Jonas Kay in die Dunkelheit. Der neue Wolf wandelte sich, als der Mond unterging, und Johnny wagte sich auf die Lichtung. Der Indianerjunge stand jetzt dort. Obwohl er nach der Transformation nackt war, umhüllten ihn das schwache Mondlicht und der Nebel wie ein Kleid.
»Zho-ni«, sagte er leise und lächelte und legte Johnny die Hand auf die Schulter. Und da wusste Johnny, dass sie Brüder waren und von gleicher Natur. Der Wolfsjunge blickte Johnny in die Augen, und Johnny fühlte sich geborgen.
Und der Indianer sprach zu ihm in der Sprache der Lakota, mit gemessenem Rhythmus und in einer eigenartigen Melodie; und Johnny verstand, da er sie alle vor Jonas beschützen würde. Und zum ersten Mal sah er eine Zeit voraus, in der sie alle sich die Lichtung teilen würden; und alle würden aus denselben Augen schauen und mit denselben Lippen sprechen und eins werden.
Ishnazuyai sagte: »Wir sind froh, dass du heimgekehrt bist, Shungmanitu Hokshila.«
Der Wolfsjunge lächelte und bat seinen Vater, die Flöte für ihn zu spielen. Der Mond ging unter. Ishnazuyai führte den Jungen an der Hand zu einem Ort, den sie Little Wolf Creek nannten, und sie warteten gemeinsam, bis die anderen der Familie von der Jagd zurückkamen. Und während sie warteten, erzählte ihm Ishnazuyai die Geschichte, wie die Wölfe Menschen
wurden, und zum ersten Mal lauschte ihm der Knabe mit Verständnis und Freude.
4
Lead, Dakota-Territorium
In derselben Nacht
Gegen Abend ließ der Wind nach. Über der Stadt lag fauliger Gestank. Reglos hing die Chinesin am Galgen, von Zeit zu Zeit stöhnte das frische Holz.
Es war später, als Teddy angenommen hatte. Es hatte keinen Sinn, sich jetzt noch auf den Rückweg zu machen. Scott lag in der Höhle, inmitten des Silberkreises. Er hatte den Höhleneingang mit Unterholz getarnt. Er machte sich Sorgen, wie jedes Mal, wenn er Scott über Nacht bei Vollmond allein ließ, aber schließlich ließ er sich doch von seinen Trieben leiten und kehrte zum Bordell zurück.
Teddy brauchte nicht lange auszusuchen. Er hatte seine Wahl bereits getroffen. Sie hieß Nita. Sie war noch ein junges Mädchen, nicht älter als dreizehn, vermutete er, und sie hatte vielleicht ein bisschen Indianerblut in sich; deshalb kam er immer zu ihr. Halbblut fickt Halbblut, sagte die Puffmutter dazu, aber sein Geld war schließlich genauso gut wie das irgendeines anderen Kerls.
Heute Nacht war auch ein neues Mädchen da, das noch jünger aussah als Nita; als er sie anschaute, verzog sie sich hinter die Vorhänge, hinter denen die Beine des Klaviers versteckt waren. Sie hieß Gina Hopwood, war Waise, die Madam nannte sie »eine ungepflückte Blume«, packte sie an der Hand und schleifte sie aus dem Empfangsraum.
Als sie auf dem Zimmer waren, zahlte Teddy Nita einen ganzen Dollar, weil sie alle ihre Unterröcke ausgezogen hatte.
Das Mädchen hatte die seltsame Angewohnheit, so zu tun, als würde ihr die Arbeit Spaß machen. So verhielten sich normalerweise nur Indianermädchen; Teddy war noch nie einer Weißen begegnet, die zugab, es zu mögen. Die meisten jammerten und weinten und bezichtigten sich lautstark, gesündigt zu haben, nur um ein paar Cents extra herauszuschinden.
Er wollte seinen Colt mit dem Elfenbeinknauf vom Nachttisch nehmen - Scott gab ihm die Waffe immer bei Vollmond - und gehen; aber heute Nacht wollte sie sich mit ihm unterhalten, und als es vorbei war, bat sie ihn, im Zimmer zu bleiben, weil sie ihm angeblich den Penis mit Wasser und Seife waschen wollte. »Seife? Kommt gar nicht infrage«, belehrte er sie. »Damit kann man einem Muli das Fell vom Leibe ätzen!« Aber als sie ihn an ein Fenster gedrängt und seine Hose aufgemacht hatte, beschloss er, dass es töricht wäre, eine solche Gratisleistung auszuschlagen.
»Es ist teure Seife aus Frankreich«, erklärte sie ihm mit einem süßen Lächeln. »Ich könnte dich von Kopf bis Fuß waschen, wenn du möchtest, aber dann musst du die Stiefel ausziehen.«
»Die hab ich schon sechs Monate nicht mehr ausgezogen«, erwiderte er lachend, während sie traurig die Dreckspuren begutachtete, die seine Schuhe auf dem seidenen Bettbezug hinterlassen hatten. Sie begann ihn abzuwaschen, und das Parfüm stieg ihm in die Nase. Er hakte das Fenster auf, um
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