Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
Vom Netzwerk:
geschah, hatte Claggart die Tür in der dünnen Trennwand zwischen beiden Zimmern aufgetreten und kam auf ihn zu, und der Colt lag immer noch auf dem Boden zwischen ihnen.
    Teddy konnte die Waffe nicht erreichen. Er sagte sich immer wieder, ich bin jetzt ein Mann, ich kann mich wehren, kann ihn töten, aber er fühlte sich nicht mehr wie ein Mann, er fühlte sich wie das Kind, das Cordwainer Claggart damals im Zug nach Cheyenne misshandelt hatte.
    Claggart schleuderte ihn aufs Bett. Er hatte seine Gerte dabei. Er schlug ihm ins Gesicht. Teddy schmeckte Blut und wusste, dass seine Wange aufgeplatzt war. »Vielleicht kannst du mir ja was über den Wolfsjungen erzählen«, drohte Claggart leise. »Vielleicht weißt du ja was …«
    Bevor er noch nachdenken konnte, platzte es aus Teddy heraus: »Der alte Indianer hat ihn, der verrückte alte Indianer, der immer mit dem Zug …«
    »Hin und her, hin und her -« Claggarts Blick war lähmend. Sein Gesicht strahlte ungebändigte Freude aus, er sah aus wie jemand, der beim Würfeln gewann, fand Teddy. »Omaha, Cheyenne und wieder zurück, wie ich in meiner Kartenspielerzeit.«
    »Ich schwöre es, der Indianer hat ihn …« Er wollte sich nicht an die Nacht im heiligen Kreis des Alten erinnern, aber jetzt kam alles wieder hoch, und er dachte, ich hätte ihn nicht verraten sollen, aber ich muss doch meine Haut retten.
    »Versuch lieber nicht, die Wahrheit vor mir zu verheimlichen, mein Kleiner«, drohte Cordwainer Claggart. »Sonst komm’ ich und reiß’ dir deinen kleinen Pimmel raus und trockne ihn und verkaufe ihn als Wurst.«

    Teddy spie Claggart ins Auge. Claggart wich überrascht zurück, sodass sich Teddy aus seinem Griff befreien und vom Bett herunterrollen konnte. Er warf sich auf den Colt. Er spannte gerade den Hahn, als Claggart ihm die Waffe aus der Hand kickte und sich ein Schuss löste. Rauch stieg auf, ein Spiegel klirrte. Teddy hechtete dem Colt hinterher, packte ihn, verbrannte sich die Finger am glühenden Lauf.
    Dann rannte er durch die offene Tür ins Nebenzimmer. Das Mädchen war immer noch ans Bett gefesselt. Teddy konnte nicht feststellen, ob sie tot war oder noch lebte. Sie bewegte sich nicht. Überall war Blut. Er hörte Schritte. Dort war ein Fenster. Es stand offen. Der Gestank wehte herein. Schnell kletterte er hinaus. Er hörte einen Schuss. Gedämpft. Irgendwo drinnen. War es das Mädchen? War sie tot? Würde Claggart es wagen -
    Eine Frau kreischte. Und Teddy hastete über die Vordächer, um den Platz herum, wo die Chinesin immer noch baumelte, leise hin und her schwang, denn ein schwacher Wind war aufgekommen, der den Gestank verscheuchte. Ihr kleines Gesicht war vom Mondlicht angestrahlt, und ihre Augen waren ganz und gar weiß.
    Wohin kann ich?, dachte Teddy. Aus dem Fenster drangen immer mehr Schreie. Eine Straße weiter erkannte er die Fassade des Imperial Hotels, und er dachte an Speranza.
    Unter ihm donnerte eine schwarze Kutsche vorbei, gezogen von schwarzen Pferden. Schwarze Vorhänge verwehrten den Blick ins Innere. Teddy glaubte, den Kutscher zu erkennen, ein Diener des Grafen, er fuhr in Richtung Hotel! Teddy duckte sich, zog sich an den Holzsimsen entlang, kauerte sich hinter Schilder. Vielleicht war Speranza in Gefahr. Er presste sich den Colt gegen das Herz. Er war jetzt gegenüber dem Imperial angelangt, auf einem Vordach, das fast über die ganze Straße reichte. Wenn er weit genug sprang, konnte er vielleicht den Baldachin erreichen -

    Der Portier an der Rezeption las im Licht einer Paraffinlampe. Es war ein alter Zeitungsartikel über die Eröffnung der Brooklyn-Brücke. Er versuchte, den drückenden Fäulnisgestank fortzufächern.
    Draußen wieherten Pferde. Die Eingangstür wurde aufgestoßen. Der Portier blickte auf und sah zwei Männer, die eine Art Sänfte trugen. Sie war an allen Seiten mit schwarzem Samt abgedeckt. Ein unheimlicher Gestank - Hundepisse? - überdeckte den Fäulnisgeruch. Ein weiterer Mann in einer Livree bildete die Nachhut. Er baute sich vor dem Portier auf und sagte: »Miss Hope Martin.« Und legte eine goldene Drei-Dollar-Münze auf die Rezeption.
    Der Portier verzog keine Miene. »Sir, ich hoffe, Sie halten dieses Haus nicht für eine Absteige; das Imperial ist eine anständige Adresse.«
    Noch mehr Gold klimperte auf die Theke: Quarter-Eagles, kleine Golddollar, schließlich eine Zwanzig-Dollar-Münze. »Mein Herr verkehrt ausschließlich in Häusern mit hervorragendem Ruf.«
    Der Blick des Mannes

Weitere Kostenlose Bücher