Wolfsruf
frische Luft hereinzulassen, aber stattdessen schlug ihm der faulige Gestank von draußen entgegen.
Das Mädchen schwatzte über dies und das - Teddy interessierte sich nicht besonders für ihr Geplapper, aber ihre Stimme klang angenehm. Er war mit seinen Gedanken ganz woanders. Er war diese Art von Unterhaltung gewöhnt, und Nita war von ihren eigenen Schilderungen, in denen es um Rivalitäten und Freundschaften unter den Mädchen ging, so gefangen genommen, dass sie ihn kaum wahrnahm.
Deswegen starrte er auf den Vorhang hinter dem Bett, und deswegen hörte er auch die seltsamen Geräusche aus dem Nebenzimmer - als würde ein Hund ausgepeitscht - und ein Winseln, Schmerzensschreie ganz gewiss, aber auch ein bisschen wie Schauspielerei.
»Was ist da drüben los?«, unterbrach er sie.
»Ach, das ist das Zimmer für die wirklich kranken Kunden, die ein bisschen Schmerz zum Vergnügen brauchen.«
»Was machen sie dort?«
»Wahrscheinlich nehmen sie die Peitsche oder den Stock. Miss Hayvenhurst - sie hat mich alles gelehrt -, sie mag solche Sachen auch. Vielleicht ist sie sogar selbst drin, zusammen mit diesem Claggart.«
Bei der Erwähnung dieses Namens sank Teddys Mannesstolz in sich zusammen.
»Er ist wirklich komisch, dieser Claggart. Zum Glück hatte er mich noch nie wollen. Aber er zahlt gut, und immer mit Gold - willst du zuschauen?«
»Ich …«
Nita beugte sich vor und teilte den Vorhang ein bisschen. Teddy sah, dass in verschiedener Höhe Gucklöcher in die Trennwand gebohrt waren, sodass zwei oder drei gleichzeitig zuschauen konnten. Deshalb hörte man auch so deutlich, was nebenan vorging. Teddy schauderte. Der Name Claggart rief unweigerlich Erinnerungen an jene Bahnfahrt in ihm wach.
»Es ist ruhig heute Nacht, wegen der Hinrichtung«, erklärte ihm die junge Prostituierte, »und weil es so stinkt. Du kannst so lange bleiben, wie du willst. Aber du kannst es nicht noch mal machen, das kostet sonst wieder fünfundsiebzig Cents.«
»Ich weiß«, antwortete Teddy gedankenverloren. Er krabbelte auf das Bett und schaute durch das Guckloch.
Im Nebenraum war es viel dunkler. Nur ein paar Kerzen brannten. Cordwainer Claggart war tatsächlich darin. Er beugte sich über das Bett und streckte dabei seinen fetten Arsch in die
Luft wie ein Hund. »Er ist ja splitternackt!«, flüsterte Teddy schockiert. Dann sah er das Mädchen unter ihm, gefesselt und geknebelt. Sie lag in einem Mondlichtstreifen, der zwischen den Vorhängen hindurch ins Zimmer fiel.
»Und das ist nicht Miss Hayvenhurst - das ist das neue Mädchen«, ergänzte Nita. »So eine Schande, dass sie ihre Jungfernschaft nicht an einen anständigen Gentleman verlieren darf!«
»Er tut ihr weh!«, flüsterte Teddy, denn Claggart peitschte den Hintern des jungen Mädchens mit einer Reitgerte. »Das darf er nicht, ich muss ihn aufhalten.« Er sah die Blutflecken auf dem Laken. Das Mädchen wimmerte.
»Du kannst ihn nicht aufhalten«, flehte Nita. »Er hat gutes Gold dafür gezahlt … und … ich krieg’ sonst Schwierigkeiten!«
»Drecks -« Cordwainer Claggart hatte ein kleines Taschenmesser gezückt und wollte etwas in den Hintern des Mädchens schnitzen; mit der anderen Hand spielte er an seinem Geschlecht, während er leise vor sich hinbrummelte.
»Ich muss Miss Hayvenhurst holen!« Nita war bleich geworden. »Sie mag es gar nicht, wenn man ihre Ware beschädigt!« Sie rannte aus dem Zimmer und ließ Teddy allein zurück.
Teddy hockte auf dem Bett, unfähig, den Blick abzuwenden. Trotz dem Knebel war das Wimmern zu hören; aus den weit aufgerissenen Augen des Mädchens strömten Tränen. Sie nässte ins Bett, während Claggart immer und immer wieder ausholte, und Teddy dachte, das hätte mir in dem Zug auch geschehen können - wen hätte es gekümmert? Ich war nur ein Zeitungsjunge und ein Halbblut dazu, und eine Waise wie sie.
Je mehr er darüber nachdachte, desto mehr wünschte er sich, Claggart zu töten. Er tastete nach seinem Colt auf dem Nachttisch, aber der war außer Reichweite, und er konnte seine Augen nicht von dem Messer abwenden, das jetzt ins Fleisch ritzte, und von der dünnen Blutlinie, schwarzsilbern im Mondlicht
und im flackernden Kerzenschein. Er berührte den Knauf, aber die Waffe klapperte zu Boden, und Cordwainer Claggart schaute auf und entdeckte das Auge des Jungen hinter dem Guckloch und sagte: »Diese Augen kenn’ ich doch irgendwoher …«, und begann auf die Tür zuzustaksen, und bevor Teddy wusste, wie ihm
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