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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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möglich.
    Sie spürte seine Anziehungskraft. Das schwarze Tuch vibrierte leicht. Wie weit war die Transformation fortgeschritten? »Meine … Madonna … der …«
    Sie kam ihm immer näher. Sie schwitzte; die Metamorphose strahlte sengende Hitze ab, und obwohl sie sein tierisches Wesen verabscheute, vergaß sie nicht seine glühende, leidenschaftliche Zärtlichkeit, denn trotz ihres Betruges liebte sie ihn. Aber sie flüsterte: »Ich sollte dort draußen hängen: Ich liebe eine Bestie.«
    »Vielleicht … ist sie für dich gestorben.«
    Sie war ihm jetzt nahe. Eine Hand fasste durch das schwarze Tuch - eine halbe Klaue, das Fleisch wandelte sich noch, pulsierte. Die Hand glitt in ihre schweißnasse Handfläche, und das Fell, das aus der rauen Wolfshaut spross und stach, kitzelte sie.
    »Zu viele Menschen sind für mich gestorben«, sagte sie. »Ich ertrage das nicht mehr, Hartmut … du musst mich fortschicken …«
    »Und die Kinder … für wen … sind sie … gestorben?«
    Sie konnte ihm nicht antworten. Auch sie hatte gemordet. Sie war zu tief gefallen, um sich je wieder erheben zu können. Sie leistete keinen Widerstand, als der Graf sie an sich -
    Plötzlich ließ er sie los. »Ich rieche noch jemanden … einen Jungen, ein Menschenkind …« Er bellte seinen Dienern Befehle zu: »Schnell! Wir nehmen die Gräfin mit!«
    »Sie werden sie nirgendwohin mitnehmen, Mr Graf.«
    Es war Teddy. Er krabbelte unter dem Bett hervor. Er hatte seine Waffe gezogen und zielte auf ihn.
    Graf Hartmut von Bächl-Wölfling lachte. Und stand auf, schob die Vorhänge beiseite, die ihn vom Mondlicht abschirmten.
Sein Abendanzug hing ihm in Fetzen am Körper, der zum großen Teil noch menschlich war.
    »Ein kleiner Junge will mir Angst machen!« Seine Stimme war wieder menschlicher geworden; sie sah, dass er die Verwandlung durch übermenschliche Willensanstrengung zu kontrollieren vermochte. »Als ich dir hierher folgte, Speranza, verdächtigte ich dich, mir untreu zu sein. Ich hatte ja keine Ahnung, dass du dich für kleine Buben interessierst!«
    Er machte den anderen ein Zeichen. Sie ließen Speranza los und kamen auf den Jungen zu. Speranza nutzte die Gelegenheit und eilte zu Teddy.
    »Nicht so schnell!«, warnte er die Diener. »Diese Waffe ist mit Silberkugeln geladen.«
    Der Junge feuerte. Der Rückstoß schleuderte ihn in Speranzas Arme; der Graf lachte wieder und sagte: »Von einem alten Aberglauben lasse ich mich bestimmt nicht umbringen, mein Kleiner.« Die Kugel hatte nur seinen Mantel getroffen.
    »Miss Speranza, Sie kommen am besten mit mir«, sagte der Junge, und plötzlich sah Speranza einen Hoffnungsschimmer. Ein schwacher Schimmer nur, doch es war mehr, als sie sich vor wenigen Sekunden noch hatte vorstellen können. Der Junge deutete auf das Fenster. Speranza dachte an ihre Kleider, an die Juwelen, mit denen der Graf sie beschenkt hatte, an die Dinge, die sie sich früher nicht einmal erträumt hatte - dann verfluchte sie sich, weil sie sich solchen Gedanken hingab, wo sich endlich ein Weg zeigte, die Schmach zu lindern, der sie sich hingegeben hatte. »Helfen Sie mir, das Fenster aufzumachen«, sagte Teddy und tastete sich an der Wand entlang, ohne die Waffe von dem Grafen abzuwenden.
    Er zerrte den Vorhang herunter. Sie sah die Chinesin am Galgen hängen, eine schwarze Silhouette im Mondlicht.
    Der Graf begann sich zu verwandeln. Die Wirklichkeit verschmolz in den Albtraum. Sie fühlte Ekel und Lust zugleich. Sie zitterte vor Angst, aber sie spürte auch, wie sie feucht wurde.

    Sie wich zurück.
    »Sie haben meinen Pa umgebracht«, sagte Teddy. »Und die Chinesin. Und die Goldgräber und die Indianer. Was hat mein Pa Ihnen denn getan? So wahr mir Gott helfe, ich werde Sie ins Jenseits befördern und auf Ihrem Grab tanzen!«
    Sie sah unversöhnlichen Hass in Teddys Gesicht. Er feuerte immer wieder. Er schluchzte und konnte unmöglich erkennen, wohin er zielte. Aber sie sah Fleisch aufplatzen und Blut auf das seidene Bettlaken spritzen, und sie hörte Hartmuts Lachen: »Wunden, Wunden, was scheren mich Wunden, glaubst du, ich habe noch nie Silber gespürt?«
    Und Speranza mahnte: »Wir müssen fort. Ich glaube nicht, dass er stirbt. Er ist stärker als die anderen. Er ist der König.«
    Der Junge flüsterte: »Ich hab ein Pferd. Ich hab es vor der Stadt angebunden. Kommen Sie mit mir, Miss Speranza. Sie müssen fort.«
    Der Junge stieß das Fenster auf und kletterte hinaus auf den Sims. Heißer Wind wehte ins

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