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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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zitterte, obwohl ich direkt vor einer heißen Heizung stand.
    J. K. starrte mich an. Wer war er jetzt - hatte Jonas Kay, der
wahnsinnige Killer, die Macht über ihn ergriffen? Ein Pfleger kletterte über eine Trittleiter zu ihm hinauf. J. K. schlug ihm ins Gesicht. Der Pfleger schrie auf, hielt sich die Hand vors Auge und stürzte zu Boden. Ich hörte eine Alarmglocke schrillen.
    La Loge kam hereingelaufen. Er versuchte, die Situation zu überblicken. Er schaute Preston an, der mit den Augen rollte und zornig die Hände hob. Dann sah er mich.
    »Lupus!«, rief er.
    Aber sein Patient reagierte nicht. Stattdessen fegte er den Staub vom Regal und heulte. Sein Jaulen jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Es war überhaupt nicht menschlich.
    Dr. La Loge wandte sich an mich. »Rufen Sie ihn«, befahl er mir. »Ja, Sie! Nur Sie können noch zu ihm durchkommen.«
    »Ich?«
    Ich versuchte, mich davonzustehlen. Aber meine Stimme hatte bereits seine Aufmerksamkeit erregt.
    »Johnny«, sagte ich leise.
    »Speranza?« Seine Gesichtsmuskeln zuckten, zuckten, seine Miene entspannte sich. »Muss ich schon ins Bett?«
    »Ja.«
    »Wo bin ich? Sind wir bald da?«
    »Bald«, versprach ich, »bald. Du hast einen Albtraum gehabt.« Ich improvisierte. La Loge ermutigte mich mit Gesten. »Aber jetzt ist alles gut … komm runter.«
    »Wie lange fahren wir noch nach Wien?«, die ängstliche Stimme eines kleinen Jungen. So überzeugend. Er zog mich an, zog mich in seine Illusion. Langsam ging ich auf ihn zu. Ich reichte ihm die Hand. Ich fühlte seine Hand in meiner. Ich drückte sie, um ihn zu beruhigen. Ich zweifelte nicht an seiner Ehrlichkeit. Es irritierte mich, wie sehr er mir vertraute - doch es rührte mich auch mehr als alles andere in meinem Leben.
    Seine Hand wurde schlaff. Dr. La Loge war die Leiter hinaufgestiegen und hatte ihm eine Beruhigungsspritze verpasst.
In dieser Nacht wollte ich mit dem Buch beginnen. Ich hatte die Vorhänge zugezogen und die Tür verriegelt. Ich füllte den Papierkorb, bis er überquoll. Ich merkte, dass ich zu träumen begann.
    Die Zentralheizung war drückend heiß - ich schwitzte. Ich stand vom Schreibtisch auf, zog mein Nachthemd an. Es wurde nicht kühler. Ich spielte mit dem Gedanken, das Fenster zu öffnen, aber ich fürchtete mich vor dem Anblick des Schnees.
    Ich setzte mich wieder an die Schreibmaschine. Nach einer Weile begann ich zu tippen, Absatz um Absatz, lauter Unfug - der Schnee. Ich lief durch den Schnee - mit heraushängender Zunge - Vollmond, mein Körper dicht über dem Boden, der Schnee strich nass und kühl über mein dickes Fell. Mein Schweif ragte in die Luft, der Wind war feucht und eiskalt - ein Heulen voller Trauer und Verlangen flog über meine Lippen - die keine Lippen waren, nur Kiefer mit Reihen messerscharfer Zähne …
    Ich schüttelte mich. Ein Traum, ein lebhafter Traum. So ähnlich wie die Visionen der Indianer in ihren Schwitzhütten. Na ja, heiß genug war es ja. Und dieses ständige Gerede über Wölfe in den letzten Tagen: Werwölfe, das magische Wort lupus, mit dem der Doktor arbeitete, die Shungmanitu, wer immer das auch gewesen war - und Preston in der Geisterstadt, der mir von grauen Wölfen erzählte, die von den weißen Jägern in den Norden getrieben wurden.
    Zurück zum Killer von Laramie!, ermahnte ich mich.
    Aber das Heulen hatte so echt geklungen -.
    Es war echt! Mir wurde bewusst, dass ich es immer noch hörte. Es kam aus dem Haus - vielleicht von oben. Ich stand auf, legte einen Morgenmantel um. Ich ging zur Tür. Ja, ich konnte es hören. Irgendwo.
    Ich schloss die Tür auf. Ich hörte mein Herz schlagen.
    Ich stand im Gang.
    Das Heulen war weit entfernt, aber es kam aus dem Gebäude.
Ich dachte an Johnny Kindred in seiner Zwangsjacke, in seiner Gummizelle. Das ist es also, dachte ich. Er glaubt, er ist ein wildes Tier. Ich brauche mich nicht zu fürchten.
    Ich machte ein paar Schritte.
    Wieder ein Heulen, näher diesmal, grauenhaft.
    Ich hörte auf zu denken und begann zu rennen.
    Ich muss Preston finden, überlegte ich. Ich wollte bei ihm sein. Wo war sein Zimmer noch mal? Erste links - zweite Tür. Ich rannte hin, trommelte mit den Fäusten dagegen. Keine Reaktion. Das Heulen schien im nächsten Moment um die Ecke zu kommen. Ich wagte nicht, mich umzudrehen. Ich rammte meine Schulter gegen die Tür.
    Kalt. Kalt. Die Vorhänge raschelten. Schnee wehte herein. Das Fenster war offen - nein, nicht offen, zerbrochen. Glasscherben auf dem

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