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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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außer dir.« Die Dielen knarrten, obwohl wir auf Zehenspitzen zum Bett gingen. »Ich kann fast ihre Stimmen hören.« Etwas heulte in der Ferne. »Nur ein Kojote. Oder vielleicht ein grauer Wolf. Aber so weit in den Süden kommen sie nicht mehr.« Wieder ein Heulen. »Manchmal stelle ich mir vor, das Heulen ist das geheime Zeichen der Dakota-Krieger. Sie haben die gebrochenen Verträge nicht vergessen. Sie kommen, um die Stadt niederzubrennen, Hunderte von Kriegern, und ihr Zeichen ist der Ruf des grauen Wolfs, den die weißen Jäger vertrieben haben.«
    »Du machst mir Angst«, gestand ich. Das einzige kleine Fenster war schneebedeckt.
    »Ich weiß.« Seine Augen glühten im flackernden Licht. »Komm, Baby.«
    Mit einem Gefühl, das etwas von Verzweiflung an sich hatte, fiel ich ihm in die Arme. Es war eiskalt im Raum, aber Prestons Körper brannte. Ich umklammerte ihn fester, versuchte, seine Wärme aufzusaugen. Ich küsste ihn, rieb mir die Wangen an seinen Stoppeln wund, roch Benzin und Schweiß und Leder. Er presste mich an sich. Ich strauchelte. Ich fiel rückwärts auf das Bett, und wir liebten uns, hektisch und unbeholfen. Ich weiß nicht, woher seine Trauer und sein Zorn rührten. Und mein Verlangen. Wir dachten nicht aneinander, dessen bin ich mir sicher.
    Als ich in Schlaf sank, glaubte ich, die Augen wieder zu sehen.
    Im Fenster, im Schnee. Gelbrote Schlitze, nicht menschlich. Ich blinzelte, und sie waren verschwunden. »Ich will zurück«, sagte ich und rüttelte Preston sanft.

    Er wachte sofort auf, als wäre er auf einen Überfall gefasst gewesen. Bitter fragte er: »Nicht wie richtiges Tipi, weiße Hündin?«
    »Bitte, ich wollte nicht …«
    »Okay. Ich bring’ dich zurück.«
     
    Er führte mich durch das Labyrinth der Gänge zu meinem Zimmer. »Wenn du Albträume hast oder so, mich findest du hinter der zweiten Tür in der ersten Halle links. Dort schlafe ich immer, wenn ich im Institut bin.«
    »Ja. Morgen nach dem Interview werde ich jemanden brauchen, mit dem ich mich unterhalten kann.«
    »Du machst also weiter.«
    »Schätze schon.« Ich wusste, dass es zu spät für einen Rückzieher war.
    »Das hab ich mir gedacht.« Er drehte sich um. Ich berührte ihn nicht. Irgendwie hatte mich das Zusammensein mit ihm noch mehr verunsichert.
    Er sagte: »Du kannst dir morgen freinehmen. Du kannst sowieso nicht mit ihm sprechen. Ab morgen sperren wir ihn für ein paar Tage in die Gummizelle.«
    »Warum?«
    »Vollmond. Da wird er zum Werwolf.«
    »Ach, hör auf. Ich bin auch so schon nervös genug.«
    Preston schielte mich an. Dann heulte er los, ein Wolfsheulen wie aus einem schlechten Horrorfilm. Ich schlug ihn ins Gesicht. Er lachte. »Morgen feiern wir. Danach muss ich zu meiner anderen Arbeit.«
    »Klar.«
    Ich machte die Tür zu und schloss sie ab. Dann, plötzlich, verriegelte ich sie zusätzlich. Und zog die Vorhänge zu, um den Schnee nicht mehr zu sehen.

3
Vollmond
    Beim Frühstück fragte ich La Loge, ob es stimmte, dass der Killer von Laramie während der nächsten Tage eingesperrt würde. »Ja, das ist leider richtig. Aber es droht wirklich keine Gefahr. Damit schützen wir ihn eigentlich nur vor sich selbst.«
    »Was hat das mit dem Vollmond zu tun? Preston sagte …« »Ach, der alte Werwolf-Spaß? Der hat inzwischen wirklich einen ziemlichen Bart. Ich werde mal ein ernstes Wort mit Preston reden müssen.« Er benahm sich mir gegenüber wesentlich freundlicher, seitdem ich unverzichtbar für seine Forschungen geworden war. Aber etwas aus ihm herauszubekommen, war so mühsam, wie einen Stein zu melken. »Ganz im Ernst«, erklärte er, »es bestand eine gewisse Beziehung zwischen Jonas Kay und dem Vollmond, aber Jonas Kay ist schon lange nicht mehr aufgetaucht.« Er bot mir eine Zigarette an; ich lehnte ab. »Was halten Sie von Johnny Kindred?«
    »Er irritiert mich. Ist das wirklich seine ›zentrale‹ Persönlichkeit?«
    »Er taucht nur während der Hypnose auf.«
    »Das ist nicht wahr«, sagte ich. Denn ich hatte Johnny schon in der ersten Nacht gesehen und seine Stimme rufen gehört: »Speranza!« Er hatte sich mir aus freiem Willen zu erkennen gegeben, ohne die Hilfe eines Hypnotiseurs oder einer Droge. Mir dämmerte die Erkenntnis, dass es Dinge geben könnte, die ich über Johnny wusste, die nicht einmal die Ärzte wussten. Trotzdem sagte ich nichts. Ich konnte ebenso schweigsam sein wie La Loge, wenn ich wollte.
    Es war nicht, als hätte ich ihm den Fehdehandschuh hingeworfen und

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