Wolfsruf
erklärt: »Das bedeutet Krieg!« Aber ich dachte, auch ich kann täuschen, falsche Hinweise geben, irreführen. Soll er ruhig glauben, er würde mich manipulieren.
Es war ein verschenkter Tag. Ich lieh mir von Greta an der Rezeption eine Schreibmaschine und versuchte, an meinem Buch zu arbeiten. Ich suchte nach einem düsteren, romantischen Anfang - der Schnee. Das würde den Leser einstimmen. Ich saß in meinem Zimmer und tippte Absatz um Absatz, immer neue Schilderungen meiner Fahrt von Laramie, immer neue Beschreibungen des Schnees.
Ich schob den kleinen Tisch ans Fenster, sodass ich hinaussehen konnte. Ich sah Weeping Wolf Rock dunkel aus dem Schnee ragen. Der Schnee glitzerte, und die Luft war klar.
»Das klingt wie ein gottverdammter Horrorroman.«
»Preston!« Ich wirbelte herum. Hastig deckte ich das eingespannte Papier mit meinem Arm ab.
»Als hätte ich dich beim Masturbieren erwischt, wie?«, sagte Preston. Er lächelte freundlich. Ich hatte keine Ahnung, wie lange er schon hinter mir stand. Er kramte im Papierkorb und zog ein paar zerknüllte Blätter heraus. »Was ist das denn? ›Es war eine düstere, stürmische -‹ So doch nicht!«
»Das war nicht ernst gemeint«, verteidigte ich mich. »Manchmal löst sich eine Denkblockade, wenn man einfach alles aufschreibt, was einem durch den Kopf geht.«
»Klar. ›Ihr könnt mich Ismael nennen. Es mag dich erfreuen, dass die ersten Schritte dieses Unterfangens …‹«, begann er, die ganze Seite zu lesen. Es war mir peinlich. Er ließ das Blatt wieder in den Papierkorb segeln und zog ein anderes heraus. »Das hier ist schon besser«, sagte er und begann, laut vorzulesen. Es war einer meiner ernsthaften Versuche.
»Gib her!« Aber ich machte keine Anstalten, ihm das Blatt wegzunehmen.
»Willst du bumsen?«
»Preston! Ich arbeite.«
»Du bist blockiert, das sieht jeder. Warum können wir nicht einfach - ihr Weißen seid alle gleich. Euch scheint man schon bei der Geburt einen Pfahl in den Hintern zu …«
»Glaubst du, du machst mich mit diesem Geschwätz an?«
»Einen Versuch ist es jedenfalls wert.«
»Es ist noch nicht mal dunkel«, wehrte ich ab.
»Wieder so eine fixe Idee von euch Weißen. Alles muss seine feste Zeit und seinen festen Ort haben. Aber schon gut. Warum kommst du nicht mit mir in die Institutsbibliothek? Vielleicht findest du interessantes Material. Ich hab La Loge versprochen, dass ich helfe, die Kartei zu sortieren. Danach muss ich eine Stunde mit den Irren spazieren gehen, und ab morgen bin ich für eine Woche im Reservat, wo ich die Besoffenen aufklauben darf.« Er versuchte, heiter zu klingen, aber ich hörte die Bitterkeit heraus.
Ich wollte nicht, dass er ging, gestand ich mir ein. »Heißt das, ich werde …«
»Allein sein? Ja. Aber du kannst mich im Reservat anrufen. Es gibt ein Telefon im General Store, eine halbe Meile von meinem Quartier entfernt. Außerdem bin ich heute Nacht noch hier. Und ich komm’ wieder, Baby, ganz bestimmt.«
Dass er davon ausging, ich würde ihn brauchen, gefiel mir nicht. Aber es war so. Ich war vollkommen orientierungslos … die Menschen hier hätten genauso gut Wesen aus dem All sein können. Ich steckte tiefer in der Sache, als ich mir je hätte träumen lassen. Ich klammerte mich wie ein Kind an ihn.
Die Bibliothek wirkte mit ihrer Mahagonidecke und den Ölgemälden aus dem neunzehnten Jahrhundert ehrfurchtgebietend. In jeder Ecke führte eine Wendeltreppe auf eine Galerie hinauf. Die Regale standen so eng zusammen, dass zwei Menschen sich kaum aneinander vorbeiquetschen konnten, und auf den Büchern lag dicker Staub. Es gab ein Oberlicht, aber das war schneebedeckt; der Raum war schwach beleuchtet; ein paar Leute in Laborkleidung arbeiteten an einer Art Mikrofilmgerät. »Komm«, lotste Preston mich weiter, »ich zeig’ dir das Hinterzimmer.
« Wir gingen durch ein von imitierten ionischen Holzsäulen flankiertes Portal. Dahinter lag ein kleiner Raum, noch düsterer als der, den wir eben durchquert hatten. Überall stapelten sich Bücher, altersschwache, verschrammte Aktenschränke reihten sich an einer Wand und verstellten zur Hälfte das einzige Fenster.
»Mein Gott, wie alt ist das Institut eigentlich?«
»Um 1880 befand sich hier eine Irrenanstalt«, erklärte er. »Später wurden immer mehr Gebäude angebaut. Deshalb findet man sich hier so schwer zurecht.«
»Ich verstehe.«
»Vielleicht interessiert dich das hier.« Preston zog eine Schublade heraus und kippte
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