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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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Wenn er gerettet ist, dann sterbe ich wenigstens nicht umsonst.«
    »Ja.« Sie konnte ihn durch ihre Tränen kaum erkennen.
    »Tut mir wirklich leid, was ich Ihnen angetan habe, Madam. Ich wollte das nicht … es ist bloß … ich schätze, ich wusste selbst nicht, wie sehr ich … Sie mag.«
    Sie fühlte den kalten Wind, die Wipfel schaukelten; der Wind seufzte; und Scott Harper starb - als Mensch.
    Speranza wiegte ihn in ihren Armen. Er war leicht; im Tode wirkte er noch jünger. Seine Arme und Beine waren schlank, sein Brustkorb glatt und muskulös. Sie ließ ihn neben dem Leichnam des alten Indianers zu Boden gleiten.
    »Johnny«, sagte sie. »Sie haben Johnny …«
    Aber Teddy war nicht ansprechbar. Ihn schien nichts mehr zu erreichen. Er betrachtete seinen toten Freund mit vollkommen
leerem Blick. Sie bemitleidete ihn, aber sie wusste, dass er zu stolz war, um ihr Mitleid anzunehmen. Er hatte damals in Lead in ihren Armen geweint, aber er sah nicht mehr aus wie jemand, der jemals wieder weinen würde.
    »Gottverdammt«, sagte Teddy leise und innig. »Ich werde Cordwainer Claggart jagen. Ich schicke ihn zur Hölle, und wenn es das letzte ist, was ich tue.«
    Entschlossen stand er auf, lud seine Remington neu. Und wollte davoneilen.
    »Nein«, rief Speranza. »Du wirfst dein Leben fort …«
    »Ich lass mich schon nicht umbringen, Miss Speranza. Ich kann schon selbst für mich sorgen.«
    Aber er war so entsetzlich jung. Sie wollte seine Hand ergreifen - und brach schließlich zusammen. Obwohl ihr Korsett zerstört war und ihr Atem durch nichts eingeschränkt wurde, war die Luft dünn und der Ansturm der Gefühle einfach übermächtig; ihr schwanden die Sinne, als sie seine Hand in ihrer hielt.
     
    »Dieser Hurensohn Claggart«, tobte Major Sanderson, »scheint uns tatsächlich entkommen zu sein.« Er feuerte ein paar ungezielte Schüsse in die Richtung, die Cordwainer Claggart eingeschlagen hatte.
    Natalia spürte den aufkommenden Wind. Sie war wieder Mensch, da die erotische Stimulation fehlte. Der Major hatte ihre zerfetzten Kleider aufgesammelt und ihr mitgebracht, und sie hatte sich angezogen. Sie lächelte, als sie die Hand auf den Arm des Majors legte und ihn von der Verfolgung abbrachte. »Lassen Sie ihn laufen«, meinte sie.
    »Unfug, Madam. Wir sind gekommen, weil wir den Jungen erledigen wollten; es wäre ein Leichtes, ihn loszuwerden.«
    »Ich möchte Ihnen etwas zeigen.« Sie führte ihn an den Simsrand, von wo der Bach zum Indianerdorf hinabstürzte. Das Feuer hatte sich über die Lichtung ausgebreitet. Zeltstangen
prasselten, Rauch stieg auf und verhüllte das Gesicht des Mondes. Der Wind war kalt, aber hin und wieder drang ein Wärmeschwall vom Feuer herüber.
    »Sie haben erreicht, was Sie wollten«, sagte sie. »Sie haben Indianer getötet; und das ist doch Ihr innigster Wunsch, nicht wahr?« Das mühsam unterdrückte Grinsen des Majors war Antwort genug. »Der Tod des Jungen ist nebensächlich. Hauptsache, er ist nicht mehr bei den Indianern in Sicherheit, und der Waffenstillstand war an die Sicherheit des Jungen geknüpft! Sie haben großes Interesse daran, dass der Krieg fortgesetzt wird, n’ est-ce pas? Ich auch. Solange Krieg herrscht, haben wir beide Macht.«
    Endlich zog sich ein breites Lächeln über Sandersons Lippen. Kein Grund, ihn jetzt schon zu töten; es gab viel Dreckarbeit zu erledigen, und sie konnte ihn immer noch mit dem Versprechen einer sinnlichen Belohnung unter Kontrolle halten.
    »Lassen Sie uns nach Winter Eyes zurückkehren … wir wissen jetzt, dass la guerre continue .«
    »Der Krieg geht weiter«, bestätigte Sanderson, »bis der letzte Barbar ins Gras beißt. Custer ist nicht umsonst gestorben. Ich habe diesen Mann immer bewundert; er kannte den Platz der weißen Rasse. Gut, er war skrupellos; aber auf eine spartanische Weise, die ich als Soldat billigen und sogar schätzen kann. Jawohl, Natalia, ich verehre ihn ebenso wie Alexander den Großen oder Julius Caesar, die größten Generale des Altertums …«
    Er redete immer weiter und weiter, zählte Custers Leistungen auf; Natalia fiel ein Gerücht ein, das ihr zu Ohren gekommen war, als sie mit ihrem Cousin die neue Brutstätte für den Grafen gesucht hatten. Demnach hatte Sanderson angeblich bei dem Massaker am Little Big Horn unter Custer mitgekämpft; er hatte sich im Kadaver eines Indianerpferdes versteckt und nicht einen einzigen Schuss abgefeuert. Dann hatte er seine Papiere gefälscht und später

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