Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
Vom Netzwerk:
behauptet, dass er an jenem Tag
krank im Bett gelegen sei; nun fürchtete er, dass seine Feigheit eines Tages ans Licht kommen könnte. Und deshalb war er so versessen darauf, die Indianer auszurotten.
    Schließlich ertrug sie sein Geschwafel nicht mehr. »Kommen Sie, Major Sanderson«, befahl sie. »Wir gehen hinunter ins Indianerdorf und überprüfen, was wir erreicht haben.«
    »Ja. Der Mond geht bald unter; wir müssen uns beeilen.«
    »Die Wölfe kehren zurück. Die Nacht ist gefährlich«, antwortete Natalia und verschwand aus seinem Blickfeld, um den Pfad zu markieren. »Zurück zu den Pferden … zurück nach Winter Eyes.«
    »Ich bin jetzt froh, dass wir die Pferde in einem Silberkreis angebunden haben, wie Sie vorschlugen, Gräfin.«
    Sie lächelte. Endlich erkannte er, wer in ihrer Beziehung den Ton abgab. Sie schaute ihn an. Ihr Anblick im Mondlicht, in ihren nach der Wandlung zerfetzten Kleidern, mit dem wallenden roten Haar musste ihn vor Begehren fast zum Wahnsinn treiben. Richtig, er kam ihr näher. Er roch nach Duftseife, trotz der Anstrengungen heute Abend; er gehörte zu jener Sorte Mensch, registrierte sie, die sich immer und immer wieder wäscht, ohne zu merken, dass der Schmutz in der Seele liegt, nicht auf der Haut.
    »Natalia Petrowna …«, begann er. Sie wusste, was er wollte; und so gab sie ihm einen verlockenden und zugleich höhnischen feuchten kleinen Kuss auf sein linkes Ohr - und knabberte ein winziges bisschen daran. Sie hörte sein Herz schlagen.
    »Der Krieg!«, drängte sie ihn. »Vergessen Sie nicht den Krieg!«
    »Den Krieg bis zum Ende«, sagte er.
    »Den Krieg der Wölfe«, ergänzte Natalia. Aber in Gedanken war sie bei dem schönen, jungen Soldaten. Vielleicht war er schon tot, denn sie hatte Silber in der Luft gewittert - nicht gerade viel, aber genug, um registriert zu werden. Wer immer ihnen auf den Fersen war, wusste um die Macht dieses Metalls.

    Teddy Grumiaux half Speranza auf die Füße. Der Wind heulte. Die Kälte war angenehm, denn sie betäubte ihn ganz und gar; er wollte nichts mehr fühlen, bis an das Ende der Zeit.
    Er war zu müde, um Claggart zu verfolgen. Und er spürte diesen Schmerz, mit dem er nichts anzufangen wusste. Weinen hatte keinen Sinn. Es gab nur eine Antwort, die Antwort eines Mannes: Rache. Ich werde ihn töten, sagte er sich. Und niemand wird mich aufhalten. Egal, wie lange ich brauche.
    Speranza sagte: »Ich habe versagt.«
    Ihm war nicht nach Trost zumute. »Das haben Sie«, bestätigte er, ohne sie anzusehen.
    »Ich kann nicht zurück nach Winter Eyes … und meine Verbindungen nach Europa sind abgeschnitten … in Deadwood kennt man mich als Hure und Kindsmörderin; ich war töricht genug, mich Dr. Swanson anzuvertrauen …« Teddy konnte ebenfalls nicht nach Deadwood zurück. Vielleicht glaubte man dort, er hätte die junge Gina Hopwood auf dem Gewissen; es würde ihn nicht überraschen, wenn Cordwainer Claggart den Mord so hingedreht hätte. Er wollte auch nicht zu den Indianern zurück. Nichts verband ihn mehr mit ihnen. Ich bin allein, dachte er.
    Bald würde er fünfzehn werden.
    »Miss Speranza«, erklärte Teddy, »ich jage jetzt schon seit drei Jahren Wölfe, weil ich angenommen habe, dass sich mein Vater das von mir gewünscht hätte. Ich werde auch in Zukunft Wölfe jagen. Alle Wölfe, vierbeinige wie zweibeinige. Ich hab wohl eine neue Berufung gefunden. Und ich muss ihr allein nachgehen.«
    Sie nickte.
    »Ich bringe Sie nach Cheyenne, dann können Sie den Zug nehmen, wohin Sie wollen. Nach Osten oder Westen, das ist jetzt alles egal.«
    Sie sagte: »Du musst mich hassen … so, wie Mr. Harper starb …«

    »Nein, Madam.« Aber er blickte ihr nicht in die Augen.
    »Ich hasse mich selbst«, gestand Speranza. »Ich habe ihn enttäuscht. Und dich. Und alle anderen.«
    Teddy versuchte, seine Stimme nicht allzu bitter klingen zu lassen: »Nein, Miss Speranza. Aber ich glaube, Sie sind keine Pionierfrau. Sie fühlen anders. Wahrscheinlich wären Sie anderswo, wo es zivilisierter zugeht, glücklicher. Sie sind nicht hart und grausam genug für dieses Land. Der Wind der Wildnis weht nicht durch Ihr Herz.«
    Sie lächelte tapfer. »Vielleicht kennst du mich nicht gut genug, Theodore Grumiaux.«
    »Ich weiß, dass andere Sie verletzt haben, und ich will nicht, dass Sie noch mehr verletzt werden.«
    Den Rest der Nacht verbrachte er damit, eine Plattform aus Ästen zusammenzubauen und mit den Lederriemen zu befestigen, die Claggart für

Weitere Kostenlose Bücher