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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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mich zu töten.«
    »Natalia … du weißt, dass ich dich immer geliebt habe.« Er suchte nach Aufrichtigkeit in seinen Worten, aber sie waren leer.
    »Wie leicht wird Liebe zu Hass, so leicht, wie ich mich von einer Frau zu einer Bestie und wieder zurückverwandle!« Der
Mond ging unter; Vishnevsky konnte beobachten, wie der Einfluss nachließ.
    Er betrachtete ihr Gesicht im Kerzenlicht. Es stimmte - die Kugel hatte einen unregelmäßigen Fleischfetzen aus ihrer Wange gerissen. Aber es war mehr als bloß eine Narbe geblieben, mehr als ein hässliches Mal in ihrem ansonsten makellosen Antlitz. Denn Silber war Silber, und die Magie der Kugel hatte ihre Wirkung auf Natalias Haut getan. Wo der Schuss sie gestreift hatte, war die Rückverwandlung ausgeblieben. Ein Streifen Wolfspelz wuchs auf ihrer Wange, geschmeidiges rotes Haar mit einem Hauch von Silber. Der Pelz schien in ihr Gesicht eingepflanzt zu sein, und an den Rändern schälte sich die Haut wie die eines Leprakranken.
    »Es tut mir leid«, entschuldigte er sich schließlich. »Du weißt, dass ich es tun musste. Der Graf persönlich … hat befohlen, dass … das Geheimnis um jeden Preis bewahrt werden muss.«
    »Dann liebst du mich doch noch, Valentin«, sagte sie auf Russisch; plötzlich wirkte sie verletzlich.
    »Ja, Natalia.«
    Er drehte sich um. Sie sollte ihn nicht weinen sehen. Wer weiß, dachte er, wie sie meine Schwäche ausnutzt, wenn sie sich das nächste Mal verwandelt?
    Natalia Petrowna dagegen weinte nicht; denn Wesen ihrer Art war der Trost der Tränen verwehrt.
     
    Claude Grumiaux führte Zeke und Scott hügelabwärts vom Saloon weg. Dann bog er von der Straße in eine kleine Gasse ab. Nicht einmal ein Bürgersteig, dachte Scott, als sie durch den Schlamm stiefelten und Kälte und Nässe durch das Leder drangen.
    Die Gasse kreuzte sich mit einer etwas breiteren Straße. Hier standen windschiefe Hütten. Eine Papierlaterne hing in einem Fenster. Chinesische Schilder waren zu sehen.

    Zeke lachte plötzlich auf. »Lebst du im Chinesenviertel, Grumiaux? Ich wette, du hast sogar’ne gelbe Frau!«
    »Warum nicht?«, gab Grumiaux zurück. »Ich hatte mal eine Indianerin zur Frau. Wie du weißt.«
    »Bastard! Dass du mir das immer noch unter die Nase reiben musst!«
    »Ich weiß immer, wo in einer Stadt wirklich etwas los ist«, fuhr Grumiaux gut gelaunt fort. »Lieutenant Harper, ich werde Ihnen ein paar Vergnügungen zeigen, die Sie so nahe an Fort Cassandra bestimmt nicht vermutet hätten. Und ich glaube, dass Sie mein Quartier, auch wenn es sehr bescheiden ist, einer Unterkunft für einen Dollar die Nacht vorziehen werden. Falls Sie überhaupt eine in der Stadt finden würden.«
    Um zu der Wohnung des Franzosen zu gelangen, betraten sie eine Wäscherei, gingen durch eine Hintertür und gelangten in ein Gewirr schmaler Gänge mit festgetretenem Boden. Zu beiden Seiten lagen Räume mit Perlschnurvorhängen vor den Türen. Scott hörte Chinesisch hinter diesen Vorhängen, ein fremdartiger Singsang. Die Gänge wurden von Papierlaternen beleuchtet. Schließlich blieb Grumiaux vor einem Perlenvorhang stehen und sagte etwas. Er bedeutete seinen Begleitern hineinzugehen. Scott musste sich in der Tür bücken.
    Sie standen in einem kleinen Vorraum, in dem ein alter Chinese in einer Hängematte lag und eine Opiumpfeife rauchte. Das Aroma füllte die Kammer. Scott fühlte sich so beengt, dass ihm die Nackenhaare zu Berge standen. Mit jedem Atemzug atmete er Opium ein, und er fühlte sich, als würde er schweben. Irgendwie erinnerte ihn das Gefühl an die Russin, und wenn er an sie dachte -
    Sie gelangten in ein zweites Zimmer, viel größer als das erste. Ein zierliche, schlanke Orientalin begrüßte sie. Sie trug nur eine einfache Tunika und war ebenso zierlich wie schön; jedenfalls war Grumiaux ein Mann mit Geschmack, soweit es Frauen betraf.

    »Ma femme«, stellte Grumiaux vor. »Mei Ting.«
    Die Frau antwortete auf Französisch, aber als sie merkte, dass Scott ihr nicht folgen konnte, wechselte sie ins Englische über. »Ich werde Ihnen etwas zu essen machen! Ich habe gehört, dass Sie den Wolf gejagt haben.«
    Bevor er antworten konnte, verschwand sie in einem weiteren Zimmer, und fremdartige Gerüche begannen durch den Raum zu ziehen. Grumiaux bat seine Freunde, sich zu setzen. Der Tisch war schwarz lackiert und mit Perlmutt eingelegt. An der Wand hing eine Landkarte von Nebraska, Dakota und Wyoming, auf der dicke schwarze Striche die verschiedenen

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