Wolfsschatten - Handeland, L: Wolfsschatten
einer wabernden Flüssigkeit von der Farbe entrahmter Milch gefülltes Marmeladenglas. Erst jetzt fiel mir auf, dass wir vor Ians Praxis standen. „Bist du gerade dort herausgekommen?“, fragte ich sie scharf.
„Hast du den Doktor schon kennengelernt? Ich glaube, dass er mir vielleicht helfen kann.“
Lake Bluff wäre nicht Lake Bluff, wenn ich nicht längst gewusst hätte, dass Katrine keine Hilfe benötigte. Es fehlte ihr nichts, was ein geschmeidiger Tritt in ihren Allerwertesten nicht hätte kurieren können. Katrine hungerte nach Aufmerksamkeit, daher die Ballon-Brüste und das ultrakurze Röckchen.
„Was hat er dir gegeben?“, blaffte ich sie an.
Mein Ton bewirkte, dass sie mich verdattert anblinzelte. „Ein Naturheilmittel. Suzanne Somers hat ein Naturheilmittel gegen ihren Brustkrebs genommen, und nun ist sie geheilt.“
„Du leidest nicht an Brustkrebs, Katrine.“ Das Einzige, woran Katrine litt, war eine übersteigerte Hypochondrie.
Sie schnüffelte und steckte ihre ungewohnt kesse Nase in die Luft. Verdammt, hatte sie sich die etwa auch richten lassen?
„Ian nimmt mich ernst. Er hat mich einer kompletten Untersuchung unterzogen.“ Sie fuhr mit einem blutroten Nagel über ihre Brust. Halb erwartete ich, dass die Spitze das Silikon wie einen Luftballon zum Platzen bringen würde. Ich wich einen Schritt zurück, nur für den Fall der Fälle. Eine solche Explosion könnte mich ein Auge kosten.
„Er macht tolle Untersuchungen“, schnurrte sie.
Ich kniff die Augen zusammen. Das konnte ich mir lebhaft vorstellen.
Katrine war früher eine flachbrüstige Heulsuse mit knubbeligen Knien und strähnigen Haaren gewesen. Nach der Highschool war sie aus Lake Bluff verschwunden – niemand wusste, wohin – und als völlig veränderter Mensch zurückgekehrt, bis auf das Gejammer.
Ich beäugte den kurzen, weißen Rock und das enge, rote Top, die den Körper, mit dem sie zurückgekommen war, perfekt betonten. Ich fragte mich, wie vielen plastischen Chirurgen sie einen hatte blasen müssen, um an diese Brüste zu kommen. Ich fragte mich, wie sie Dr. Walker für seine Untersuchung zu entlohnen gedachte. Trotz der glänzenden neuen Hülle stand Katrine billiger weißer Abschaum – „billiger“ einfach, „Abschaum“ doppelt unterstrichen – auf die Stirn geschrieben, und das würde auch immer so bleiben.
Sie arbeitete als Bardame im Watering Hole – einer Kneipe, die so weit von der Center Street entfernt lag wie möglich, um trotzdem noch in der Stadt zu sein. Es herrschte dort ein rauer Ton. Ich war in den letzten Monaten ein halbes Dutzend Mal wegen Ruhestörung hingerufen worden, und das, obwohl ich für gewöhnlich in der Tagschicht arbeitete.
Die Tür zu Ians Praxis wurde geöffnet, und eine andere Frau kam heraus, in ihrer Hand ein ähnliches Gefäß wie das in Katrines, allerdings war die Flüssigkeit, die es enthielt, von eher grünlicher Farbe. Ich identifizierte die Frau als Merry Grey und ließ Katrine ohne ein Wort der Verabschiedung stehen.
„Das sieht dir mal wieder ähnlich, Grace McDaniel“, rief sie mir nach. „Du hattest schon immer die Manieren einer Wilden.“
Da es mich nicht sonderlich kümmerte, ob das zutraf oder nicht, und es mir komplett am Allerwertesten vorbeiging, was Katrine von mir dachte, lief ich unbeirrt weiter.
Das Interieur der Praxis hatte seit meinem letzten Besuch deutliche Fortschritte gemacht. Der Fußboden war abgeschliffen und in einem beruhigenden Hellblau gestrichen worden. Jemand hatte eine Rigipswand eingezogen, um das Wartezimmer von der Rezeption abzutrennen, allerdings war von einer Empfangsdame weit und breit nichts zu sehen. Dahinter harrten drei Behandlungsräume ihrer Fertigstellung. Ein vierter schien vollendet zu sein, denn Ian kam, bekleidet mit einem weißen Arztkittel, unter dem er ein Paar Khakis, ein mintgrünes Hemd und eine hellbraune Krawatte trug, dort gerade heraus.
Sobald er mich bemerkte, blieb er verdutzt stehen. „Grace, ich … “
„Wie hast du das alles so schnell hingekriegt?“, platzte ich heraus. Er war erst seit wenigen Tagen in der Stadt, und einen Großteil dieser Zeit hatte er mit mir verbracht.
„Du würdest staunen, wie viel man erreichen kann, wenn man bereit ist, tief in die Tasche zu greifen.“
„Was hast du Mrs Grey gegeben?“
Er zuckte zusammen, als ob ich ihn mit einem spitzen Stock ins Hinterteil gepiekt hätte, was gar keine so schlechte Idee war. „Das geht Sie nichts an,
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