Wolfsschatten - Handeland, L: Wolfsschatten
gelangen, ohne dass die entsprechenden Bestimmungen eingehalten wurden.
Ich betrachtete die weißen Grabsteine. Es wäre schön gewesen, meine E-li-si näher bei mir zu wissen, an einem Ort wie diesem, wo ich sie hätte besuchen können. Obwohl sie Quatie zufolge gar keinen Besuch hätte empfangen können, da sie ja auf großen, tapsigen Wolfspfoten durch die Gegend lief, um mir Botschaften zu überbringen.
Ich schluckte mein unangemessenes Lachen hinunter, als Doc Bill sich zu mir gesellte.
„Geht es Ihnen gut?“ Er gab mir rein vorsorglich einen Klaps zwischen die Schulterblätter.
„Ja, danke.“ Ich ging auf Abstand. Er mochte alt sein, trotzdem hatte er noch immer einen ordentlichen Schlag drauf. „Alles bereit?“
Ich zeigte zum Grab, wo der Mann sich mit seiner Maschine abplagte, als hätte er es mit einem widerspenstigen Kind zu tun. Ich hörte ihn sogar leise und beschwichtigend vor sich hin murmeln, um ihr gut zuzureden. Nachdem er den Motor angelassen hatte, tätschelte er das Metallmonster dankbar.
„Er wird den Grabhügel abtragen und den Sarg herausheben, anschließend übernehmen wir und öffnen ihn.“ Der Doc warf mir einen vielsagenden Seitenblick zu. „Nur für den Fall, dass er leer ist.“
Was ein bisschen schwer zu erklären sein würde.
„Ich bezweifle, dass das passieren wird“, wandte ich ein.
„Weil?“
„Ich habe mit den Angehörigen gesprochen.“
„Und?“
Ich bedeutete ihm, mir ein Stück von dem Grab weg zu folgen, da wir dort, wo wir standen, hätten schreien müssen, um uns über den Lärm der Maschine hinweg zu verständigen.
Ich berichtete ihm alles. Als ich fertig war, fragte er: „Irgendwelche Schlussfolgerungen?“
Ich holte das Notizbuch heraus, in das ich gekritzelt hatte, als ich mit Katrine zusammengestoßen war. „Die Verblichenen waren entweder alt oder krank. Man rechnete mit ihrem Ableben, wenn auch in den meisten Fällen nicht so bald. Sie alle starben nachts und schienen in ihren letzten Minuten um Luft zu ringen.“
„Aber keiner von ihnen ist erstickt“, sinnierte Doc Bill. „Und es gab auch keinerlei Hinweise auf Sauerstoffmangel oder Blutergüsse, die auf eine Strangulation hindeuten würden.“
Er hatte meine nächste Frage beantwortet, bevor ich sie stellen konnte. So etwas bewunderte ich an einem Arzt.
„Die, die sprechen konnten“, fuhr ich fort, „und eine Krankenschwester oder ein Familienmitglied bei sich hatten, glaubten, dass jemand oder etwas im Zimmer war, obwohl keiner der anderen Anwesenden etwas sah oder hörte.“
„Gut möglich, dass sie die Präsenz eines geliebten Menschen, der vor ihnen gegangen war, spürten.“
Ich zog die Brauen hoch. „Im Ernst?“
„Dachten Sie, dass nur böse Wesen aus dem Jenseits zurückkehren?“
„Ich dachte gar nicht daran, dass etwas aus dem Jenseits zurückgekehrt sein könnte.“ Ich zog eine Grimasse. „Jetzt allerdings schon. Vielen Dank auch.“
Er wackelte mit einer buschigen, weißen Braue und zuckte anstelle einer Entschuldigung mit den Schultern. „Ich habe genügend Menschen sterben sehen, um zu wissen, dass etwas auf der anderen Seite wartet. Und manchmal kommt die andere Seite eben herüber und nimmt uns mit.“
Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck der Verzückung, der im krassen Widerspruch zu dem eher unleidigen Doc Bill stand, den ich kannte und verehrte. Ich wusste mir keinen Rat, wie ich damit umgehen sollte, darum plapperte ich weiter.
„Da alle unsere Toten mit überraschten, wahlweise schockierten oder zutiefst verängstigten Mienen starben … Wäre es denkbar, dass jeder von ihnen von einem geliebten Menschen Besuch bekam, den er gehofft hatte, nie wiedersehen zu müssen?“
Doc Bill schüttelte den Kopf. „Alle, die ich in dieser Situation erlebt habe, sind friedlich entschlafen. Das hat meinen Glauben an das Jenseits gestärkt, zusammen mit dem an Geister, Kobolde, Hexen, schwarze Zauberer und Werwölfe.“
Da ich wusste, dass er im Hinblick auf die Werwölfe keineswegs scherzte, musste ich davon ausgehen, dass das Gleiche auch für die anderen Kreaturen galt, nur wollte ich mich im Moment nicht damit auseinandersetzen.
„Also glauben Sie nicht, dass unsere Opfer einen Blick auf die Gefilde der Seligen erhaschten“, fuhr ich fort, „sondern sie erhaschten einen Blick auf ihren Mörder, so unsichtbar er auch sein mag?“
„Möglich“, stimmte der Doc zögerlich zu. „Aber vergessen Sie nicht, dass das fehlende Herz uns zu dem Schluss
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