Wolfstage (German Edition)
Spuren hinterlassen. Der Abgleich mit den Fingerabdrücken von
Bischoff, Mansloh und Peters war positiv ausgefallen. Johanna spürte, dass sie
vibrierte vor ohnmächtiger Wut. Und Trauer. Beides musste sie unter Kontrolle
bekommen, sonst konnte sie sich die Verhöre gleich sparen und an Reinders
abgeben.
Sie grübelte immer noch darüber nach, ob es sinnvoll war, mit dem
schwächsten Glied in der Kette anzufangen – Henrik – und Richard
Peters schmoren zu lassen. Oder aber dem Erfahrensten und Abgebrühtesten den
Vortritt zu lassen, in der Hoffnung, ihm doch etwas zu entlocken, was sie dann
bei den anderen verwenden konnte. Falls Peters überhaupt sprechen würde. Er war
zwar, wie Colin berichtet hatte, überrascht gewesen, als die Polizei in der
Tagungsstätte aufgetaucht war, aber erschüttert wirkte er weiß Gott nicht. Und
mit Sicherheit wusste Taschner längst, dass es Festnahmen gegeben hatte. Aber
niemand war darüber im Bilde, dass sie Kati gefunden hatten. Diesen Vorteil
musste sie unbedingt nutzen.
Sie blickte zu Colin hoch, der abwartend an der Tür stand. »Reinders
soll bitte einen Zivilbeamten zum Wolfsburger Krankenhaus schicken. Mit einem
Foto von Taschner.«
Colin schnalzte mit der Zunge. »Ich sag’s ihm sofort. Wen wollen Sie
zuerst verhören?«
»Richard Peters.«
»Aye, Chefin.« Er blickte sie fragend an. »Sie sehen aus, als hätten
Sie noch was auf dem Herzen.«
»Ja, eine ganze Menge sogar«, erwiderte Johanna. Ich weiß gar nicht,
wo ich anfangen soll, fügte sie wortlos hinzu. »Es fing mit den Wölfen an.
Warum töten sie Wölfe und verstecken die Kadaver?«, überlegte sie schließlich
halblaut. »Worum geht es dabei? Jagdfieber? Gruppenrituale? Mutproben?«
Colin lehnte sich an den Türrahmen.
»Die Wölfe sind erst im letzten Winter hier aufgetaucht. Gejagt wurde
schon vorher, aber es fiel nicht weiter auf – ab und an ein totes Reh,
hier und da erbeutete Füchse, Dachse … Das hat nun wirklich niemanden
gekratzt. Emilie Funke hat ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht.«
Johanna nickte langsam.
»Ich könnte mir vorstellen, dass es sich um eine Art
Tapferkeitsritual handelt. Das würde vom Gesamtbild her passen: Die Gruppe
trifft sich in einer versteckten Höhle oder in einem abgelegenen Haus, sie
benutzen Pfeile und Bolzen mit eigens angebrachten Gravuren, sie üben heimlich
und müssen unter allen Umständen strengstes Stillschweigen bewahren.
Schließlich gilt es, eine Mutprobe zu bestehen, ein Tier zu töten – auf
bestimmte Weise zu töten und den Kadaver als Trophäe zu behalten –, um
wirklich dazuzugehören. Jede Wette, dass es eine klar abgegrenzte Hierarchie in
der Gruppe gibt, der sich jeder bedingungslos unterordnet, und die Neuen müssen
sich lange bewähren, bevor man sie aufnimmt.«
»Ist das nicht ein bisschen kindisch?«, entgegnete Sander und schob
die Daumen in die Gürtellaschen seiner Hose, was zugegebenermaßen ziemlich
lässig aussah. »Ich meine, dieser Richard ist doch kein Jugendlicher mehr, der
es nötig hat, sich als Wolfsbezwinger aufzuspielen und den Platzhirsch zu
geben. Der ist dreißig und hat einen guten Job als leitender Sicherheitsmann in
einem expandierenden Unternehmen! Auch die anderen sind viel zu alt für solche
Spielchen à la Jungmännerbund. Und was hat Taschner mit all dem zu tun?«
»Colin, du unterschätzt die Dynamik einer solchen Gruppe, die
Taschner, davon bin ich überzeugt, für seine Zwecke einsetzt und deren
Zusammenhalt mit Ritualen gefestigt wird. Ob die Mitglieder fast erwachsen sind
oder auf dem Weg dahin oder bereits in einem Alter, in dem sie Familien
gründen, spielt dabei keine Rolle. Sie erliegen dem Sog, der Faszination, einer
zusammengeschweißten Gemeinschaft anzugehören, die ihnen Geborgenheit, Schutz, Stärke
vermittelt und Ziele vorgibt. Und das Gefühl, etwas ganz Besonderes zu sein«,
wandte Johanna ein. Das vertrauliche Du, das ihr herausgerutscht war, ließ sie
einfach stehen.
»Viele Männer sind übrigens mit Mitte zwanzig auch noch nicht
sonderlich erwachsen, selbst wenn sie so aussehen oder sich längst dafür
halten.« Sie gönnte sich ein kleines Grinsen, das Sander erwiderte.
»Jungmännerbund finde ich übrigens einen ziemlich treffenden Ausdruck. Ich bin
mir sicher, dass keine einzige Frau mit von der Partie ist. Vielleicht wird
sogar eine gewisse Frauenverachtung gepflegt.«
Colin schüttelte den Kopf. »Also, das geht wohl ein bisschen zu
weit, Chefin.«
»Nun, zumindest
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