Wolfstage (German Edition)
absurd
hielt.
Johanna schwieg und blickte dann Schuster an. »Okay. So weit erst
mal dazu. Kommen wir zur verschwundenen Buchhändlerin. Erzählen Sie mal ein
bisschen was dazu, Kollege.«
»Kati Lindner«, hob Schuster an und straffte die Schultern. »Kollege«
gefiel ihm. »Fünfundzwanzig, seit letztem Freitagabend verschwunden – also
knapp eine Woche. Spurlos. Die Eltern und ihre Chefin sind ziemlich
fassungslos, aber nach Gesprächen mit einigen Freunden drängte sich zumindest
nicht sofort und durchgängig der Eindruck auf, dass von einem Verbrechen
ausgegangen werden muss. Natürlich haben wir die Vermisstenmeldung der Eltern
aufgenommen und die üblichen Maßnahmen eingeleitet, als Kati Lindner sich nach
vierundzwanzig Stunden immer noch nicht gemeldet hatte.«
»Was spricht denn gegen ein Verbrechen?«
»Die hatte wohl eine ganze Menge Flausen im Kopf«, antwortete
Nabold. »Sie sprach davon, mal eine längere Auszeit nehmen zu wollen und einige
Monate in Italien zu verbringen.«
»Das haben die Eltern erzählt?«
»Ja, die Mutter erwähnte so was und eine Freundin auch. Allerdings
meinten beide auch, dass es nicht zu dem Mädchen passen würde, einfach Knall
auf Fall zu verschwinden.«
»Sie hat noch bei den Eltern gewohnt?«
»Ja. Die haben uns auch über die Nachricht auf dem Anrufbeantworter
informiert, die Jonathan Maybach am Samstag hinterlassen hatte. Ein Mann mit
diesem Namen war ihnen völlig unbekannt. Uns zu dem Zeitpunkt auch noch.«
»Hm. Hat sie Sachen mitgenommen?«
»Die Mutter hat nichts bemerkt«, berichtete Nabold. »Kein
Reisegepäck oder so was. Am Morgen ist Kati zur Arbeit gefahren – mit dem
Rad –, und abends kam sie nicht nach Hause. Die Besitzerin der
Buchhandlung, in der Kati angestellt ist, hat zu Protokoll gegeben, dass Kati
wie immer gegen sieben Uhr aufgebrochen sei. Es war nichts Ungewöhnliches
vorgefallen. Sie hat sich auf ihr Fahrrad geschwungen und ist fröhlich winkend
davongefahren. Das war’s.«
»Das Rad ist natürlich auch nicht aufgetaucht oder irgendwem aufgefallen?«
Nabold schüttelte den Kopf.
»Gab es eine Suchmeldung in der örtlichen Presse?«
»Natürlich. Die ist gleich am darauffolgenden Montag sowie heute ein
zweites Mal geschaltet worden.«
»Hatte Kati einen festen Freund?«
»Nö. Zumindest weiß niemand was von einer gerade aktuellen Beziehung.«
Nabold wies auf ein Foto in der Akte. »Hübsches Ding. Eigentlich ungewöhnlich,
dass sie keinen Typen hatte. Aber vielleicht hat sie ja nur nicht darüber
gesprochen.« Er grinste anzüglich. »Oder sie hatte doch was mit diesem
Jonathan, und es sollte keiner wissen.«
Johanna fixierte Nabold so lange, bis der sein Grinsen verschluckte
und den Kopf abwandte. In ihrer Handakte war vermerkt, dass Wiebor Kati Lindner
am Samstagabend, also einen Tag nach ihrem Verschwinden und zwei Tage vor
seinem Unfall, eine beiläufig klingende Nachricht mit der schlichten Bitte um
Rückruf hinterlassen hatte. Das konnte alles Mögliche bedeuten. Den Text würde
sie sich gern im Original anhören, das sich mit großer Wahrscheinlichkeit bei
der Wolfsburger Kripo befand.
Dieter Schuster räusperte sich. »Möchten Sie mit den Eltern sprechen?«
Johanna sah auf die Uhr. Es war schon spät. Sie durfte nicht
vergessen, sich um ein Hotelzimmer zu kümmern.
»Kann man die jetzt noch stören?«
»Das dürfte kein Problem sein. Katis Eltern betreiben ein kleines
Café in der Nähe des Doms. Wir treffen sie dort sicherlich noch an. Ich werde
Sie hinfahren«, sagte Schuster und erhob sich rasch. Dünne Strähnen seines
blassblonden Haares lösten sich aus dem pomadigen Seitenscheitel, und er strich
sie unwirsch zurück.
Johanna hatte ganz und gar nichts dagegen, sich diesmal chauffieren
zu lassen, und noch weniger hatte sie dagegen, sich von Kollege Nabold zu
verabschieden. Mit einem Stoßseufzer der Erleichterung ließ sie sich kurz
darauf neben Schuster in den Autositz plumpsen.
»Nur so nebenbei: Können Sie mir ein nettes Hotel empfehlen?«
Schuster ließ den Wagen an. »Klar, die ›Alte Wassermühle‹. Gleich um
die Ecke.« Er machte eine unbestimmte Handbewegung. »Ich könnte Sie nachher
dort vorbeibringen.«
»Ich hätte nichts dagegen.«
Maria und Robert Lindner betrieben das Dom-Café seit über
zwanzig Jahren im Erdgeschoss ihres aufwendig restaurierten Fachwerkhauses und
hatten meist alle Hände voll zu tun, berichtete Schuster während der kurzen
Fahrt. In der Regel war insbesondere am
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