Wolfstraeume Roman
Red machte mit seinem Kinn eine Bewegung, die halb zwischen einem zustimmenden Nicken und einer Verbeugung lag. »Ich besorge Ihnen eine Karte. Ich kann Ihnen gern auch die Grenzen zeigen, wenn Sie wollen.« Er hielt inne. »Oder auch etwas über die Gegend erzählen. Es gibt einige spannende Geschichten über Northside, wissen Sie.« Der letzte Satz schien für mich bestimmt zu sein. Aber Hunter meldete sich erneut zu Wort.
»Ich bin hier kein Fremder, keine Sorge. Meine Familie und ich haben hier während meiner Kindheit viele Sommer verbracht.««
Red schob seine Finger in die Gürtelschlaufen. »Dann
wissen Sie bestimmt auch, woher der Name Northside kommt, nicht wahr?«
Hunter winkte lässig ab. »Das war sicher die Nordseite irgendeines Siedlergrundstücks.«
»Nein, keineswegs.« Red schien sich zu amüsieren. »Sie kennen doch die alte Steinkirche am Ortsrand? Der Friedhof dort war irgendwann überfüllt, weil alle nach vorne hin begraben werden wollten, wo die Sonne hinscheint. Die Armen und Bösewichte begrub man dann auf der Nordseite, die man auch die Teufelsseite nannte. Die Kirche hat sogar ein Tor an der Nordseite, das bei Taufen und der Erstkommunion geöffnet wird, um die bösen Geister rauszulassen.««
Ich hatte mich noch nie so weit von Manhattan entfernt gefühlt wie in diesem Augenblick. »Dann wurde der Ort hier also nach dem schlechten, unbeliebten Teil des Friedhofs benannt?«
»Im Grunde war es von Anfang an ein schlechter Ort. Zum Beispiel ist bekannt, dass einige der sogenannten Hexen während der Unruhen in Salem hierher geflohen sind. Northside hat eine lange Geschichte, bei den Ausgestoßenen der Gesellschaft besonders beliebt zu sein.«
»Das ist wahr«, mischte sich nun auch Jackie ein. »Meine Urururgroßmutter war in Ipswich der Hexerei bezichtigt worden und ist daraufhin hierher geflohen.« Sie lächelte schief. »Allerdings haben die Hexen von Ipswich nie denselben Ruf gehabt wie die von Salem.«
»Wahrscheinlich war der Name zu kompliziert«, sagte ich. Jackie lachte. Es war ein angenehm tiefes und attraktives Lachen.
»Komisch, dass ich das alles noch nie gehört habe«,
murmelte Hunter missmutig und tastete seine Brusttasche nach Zigaretten ab.
»Na ja«, sagte Red freundlich. »Auch viele Einheimische kennen die Geschichte von Northside nicht. Sogar jetzt noch ziehen hier immer wieder recht seltsame Gestalten her. Zum Beispiel der Sheriff...«
»Ehrlich gesagt«, unterbrach ihn Hunter grob und zog eine Zigarette aus dem Päckchen, »interessiert mich solcher Kleinstadtklatsch überhaupt nicht.«
Reds Mund wurde für einen Augenblick lang hart. Dann nickte er mit mehr Höflichkeit, als ich sie in diesem Augenblick zustande gebracht hätte. »Tut mir leid, mein Freund. Hier dürfen Sie nicht rauchen. Früher sind wir damit durchgekommen, aber heutzutage halten wir uns an die Vorgaben der Gesundheitsbehörde.«
Jackie wollte etwas sagen, doch mein Mann achtete gar nicht auf sie. »Sie sind wirklich redselig... mein Freund.« Er steckte sich die Zigarette hinters Ohr, während er Red einen finsteren Blick zuwarf.
»Also, mir könnte ein wenig Kleinstadtklatsch durchaus weiterhelfen«, meldete ich mich zu Wort. »Ich fühle mich hier ziemlich verloren und weiß überhaupt nichts über Northside.«
Ich warf Hunter einen warnenden Blick zu. Er verhielt sich derart rüpelhaft, dass ich das Gefühl hatte, sein Benehmen könne sich auch auf mich schlecht auswirken. Ich wollte nicht den Eindruck einer Frau machen, die sich von ihrem dominanten Mann tyrannisieren lässt.
Ohne nachzudenken, drehte ich mich zu Red. »Wie wäre es, wenn Sie zu uns zum Essen kämen? Sie könnten doch beide mal bei uns vorbeischauen...«, ich sah auch Jackie
einladend an, »... und uns etwas über die Gegend erzählen.« Ich ging eigentlich nicht davon aus, dass sie annehmen würden, aber ich hoffte, dass mein Friedensangebot zumindest Hunters Grobheit etwas die Schärfe nahm.
Für einen kurzen Augenblick herrschte Schweigen. »Oh«, murmelte schließlich Jackie. »Das ist sehr nett von Ihnen, aber...« Sie sah Red hilfesuchend an, der wiederum Hunter anschaute.
»Wie würde Ihnen Freitag passen?«
Mein Mann, der es hasste, wenn ich Leute einlud, ohne es mit ihm zu besprechen, lächelte kalt. »Freitag klingt gut. Abra wird sowieso die meiste Arbeit damit haben.« Er trank sein Guinness aus. Kaum hatte er das Glas auf den Tresen geknallt, als auch schon Kayla kam und ihn fragte, ob er noch
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