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Wolfswechsel - Aktionspreis für begrenzte Zeit (German Edition)

Wolfswechsel - Aktionspreis für begrenzte Zeit (German Edition)

Titel: Wolfswechsel - Aktionspreis für begrenzte Zeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Gray
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Konserven versteckt fanden sich auch zwei Flaschen Cognac. Ich schlug einer von ihnen an der Tischkante den Hals ab. Der erste Schluck war wie ein Faustschlag ins Hirn.
    Eine Weile blieb ich im Mantel am Küchentisch sitzen und trank. Dann zog ich die Pistole des Hauptmanns, stieg die Treppe rauf und feuerte das halbe Magazin auf die Leiche des Mannes ab.
    Ich habe viele furchtbare Dinge gesehen. Aber dem Umstand, dass dieser Kerl seine Frau bevor er sie in den Verschlag zum Sterben trieb, das Haus hatte putzen lassen, gebührt darunter der Ehrenplatz. 
      Im Grunde unserer Seele sind wir Raubtiere. Intelligent, unersättlich und schnell. Alles, was wir in ein paar hunderttausend Jahren Entwicklung gegen unsere wahre Natur aufzubieten haben, ist bloß eine dünne Schicht aus Ritualen, die wir Zivilisation nennen.
    Ich weiß, dass es merkwürdig klingen mag, doch erst im Angesicht dieses Mannes an der Schlafzimmerdecke, begriff ich, dass es keinen Sinn hatte, sich einzureden, dass es bei diesem einen Auschwitz bleiben würde.
    Nein, die Lager waren nur der Auftakt eines blutigen Gedichts, dessen letzte Strophe noch nicht einmal gedacht worden ist. Das bisschen Zivilisation hat uns vor DIESEM Auschwitz sowenig schützen können, wie es uns vor all den folgenden wird schützen können.
    Mit jeder Kugel, die ich in die Leiche dieses Mannes getrieben hatte, erweckte ich ein Stück mehr den toten Hauptmann Jakob Weiss zu neuem Leben. Und ich war niemals derart feige mir selbst gegenüber, dass ich es mir nicht auch vom ersten Augenblick an offen eingestanden hätte.

III.
     
    „ Es gibt gute Gründe dafür, warum es unmöglich ist, Liebe und Würde zu versöhnen.“       
     
    Giorgio Agamben 1998 „ Was von Auschwitz bleibt“
     
    Im Haus gab es eine Karte. Andrzej und Niemburg vermuteten die Russen im Osten an der Memel. Zog ich aber von hier aus in gerader Linie nach Osten, würde ich zunehmend dichter besiedelte Gebiete streifen. Besser also, ich hielt mich wenigstens zwei weitere Tage Richtung Nordwesten. Zwar würde das einen Umweg bedeuten, aber es brachte den Vorteil, dass ich einen Großteil der Orte östlich von hier umgehen konnte und an einem Punkt auf die Küste stieß, an dem ich kaum mit vielen Menschen zu rechnen hatte. Ein weiterer Vorteil: ich konnte mich in einem Ausläufer des Waldes halten, der wie eine Halbinsel aus Wildnis die Gruppen der kleineren Ansiedlungen östlich von hier teilte. Und dessen letzte Baumgruppen, laut Karte, kaum dreißig Kilometer vor der Küste endeten.
    Ich blieb bei der Uniform des Hauptmannes. Obwohl sich im Haus genügend Zivilsachen für mich gefunden hätten. Doch ich meinte, dass ein Zivilist im besten Alter in dieser Gegend eher aufgefallen wäre, als ein Soldat. Und Offizier noch dazu. Nur eine weitere Decke und einige Vorräte aus der Speisekammer nahm ich aus dem Haus mit.
    Falls mich eine Streife aufgriff und durchschaute, war es sowieso egal, weswegen sie mich an die Wand stellten: als Deserteur, Schwindler, Jude oder geflohener Häftling.  
    Ich ging nicht im selben Zustand in dem ich gekommen war, doch ich ging auch nicht in einem Zustand, den man als sonderlich gut hätte bezeichnen können.
    Zwar waren die Halluzinationen verschwunden, aber nach wie vor war ich unterernährt und zu Frost und Schnee, durch die ich zog, gesellten sich zunehmend Zweifel.
    Zweifel darüber, ob all der Schmerz und die Kälte es tatsächlich wert waren, dass ich mir statt einer deutschen eine russische Kugel einfing.
    Nichts Besonderes: Eine ganz gewöhnliche Stressreaktion. Jeder Psychologiestudent könnte dir einen Stehgreifvortrag darüber halten.
    Einige Zeit blieb ich noch östlich eines Weges, auf den ich gestoßen war, dann schwenkte ich Richtung Westen. Betrat damit jene Halbinsel aus Wildnis, die sich bis fast zur Küste hinaufzog.
    Ein paar Stunden später meinte ich, ich sei von jeder menschlichen Ansiedlung wieder soweit entfernt wie all die Tage zuvor.

PARIS / 1969
     
    „ Aber das warst Du nicht?“ fragte Natalie, um ihn dazu zu bringen weiter zu reden.
    „ Nein. Das war eine wilde Gegend. Und die Karte, die ich in dem Haus gefunden hatte, war ziemlich grob. Zwar gab es tatsächlich keine Dörfer in dieser Gegend, aber ein paar einsame Güter.“
    „ Und die waren nicht eingezeichnet?“
    „ Nein, die existierten auf der Karte nicht“, antwortete er versonnen. Bevor er für eine Weile wieder in Schweigsamkeit versank.
    „ Was meinst Du“,

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