Wolfswechsel - Aktionspreis für begrenzte Zeit (German Edition)
mit mir herumgetragen hatte. Catherina schrieb Namen und Alter der Toten auf einen Zettel. Verschloss ihn dann in dem Zigarettenetuie, legte es zu den Toten hinzu. Anschliessend füllten wir das Grab mit Steinen und Schutt, die wir in dem verfallenen Haus fanden.
Ich band zwei Stück Holz zu einem Kreuz zusammen, klopfte es mit dem Gewehrkolben zwischen Steinen und Schutt fest. Catherina sah mir teilnahmslos zu. Als ich fertig war forderte sie mich auf, sie an dem Grab allein zu lassen.
Ich kann sie immer noch in der Dämmerung da stehen sehen. Jakob Weiss` Uniformmantel, der ihr bis zu den Füßen reichte. Ihre Haare flüchtig zu einem wirren Knoten geschlungen. Das Gesicht fast vollständig hinter dem aufgeschlagenen Kragen verborgen.
Ich wusste nicht, was sie da tat. Vielleicht hat sie gebetet.
Ich steckte mir eine Zigarette an. Sah mich um, als sähe ich diesen Ort zum ersten Mal. Bilder, die nacheinander wie fremde Gäste mit schweren Stiefeln durch mich hindurchgingen. Und fettige Fußspuren auf dem schwankenden Boden meiner Seele hinterließen.
Man sagt, es gäbe Orte, über die die Nacht tiefer herabfalle. Wenn es so ist, muss Auschwitz ein solcher Ort sein. Und Majdanek muss ein solcher Ort sein, Belsen, Riga und das Ghetto in Warschau müssen solche Orte sein. Aber auch die Ruine im Wald gehörte zu diesen Orten.
Ich weiß, dass alles, was irgendwo auf der Welt geschieht Auswirkungen hat. Und seien sie noch so unscheinbar. Weil ich das weiß, glaube ich, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in China einen Wirbelsturm in der Karibik auslösen kann. Und so sehr ich davon überzeugt bin, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Wirbelsturm auszulösen vermag, so sehr bin ich von der Konsequenz daraus überzeugt: Ich weiß, dass es Tore gibt, die besser für immer verschlossen bleiben sollten. Weil nichts und niemand die Monster, die dahinter lauern, jemals wieder vollständig in ihre dunklen Zellen zurückzutreiben imstande ist, nachdem die Türen zu ihrem Reich erst einmal geöffnet worden sind.
Mit den Lagern war etwas in die Welt gekommen, dass nie hätte auftauchen dürfen. Und es hatte jedem, der es hören und sehen konnte, bewiesen, dass von nun ab Dinge möglich waren, die zuvor nicht einmal hätten GEDACHT werden durften. Nichts und niemand würde es jetzt wieder dahin zurücktreiben können, wo es hergekommen war.
Die Männer in der Ruine waren nicht von irgendwoher gekommen. Sie hatten den Krieg erlebt. Sie mussten um die Lager gewusst haben. Und weil es so war, stand das, was sie getan hatten in direkter Folge zu dem, was in den Lagern geschehen war. Keiner kann sich der Welt, in der er lebt entziehen. Keiner völlig das verleugnen, was in ihr geschieht. Ihnen war klar, dass sich die Grenzen verschoben hatten. Sie zogen ihre Schlüsse daraus.
Ich habe selbst im Wald gelebt. Ich war selbst auf der Flucht gewesen. Ich weiß, dass sie andere Möglichkeiten gefunden hätten. Aber sie haben wahrscheinlich nicht einmal danach gesucht. Sondern sich ohne zu zögern auf das Leichteste gestürzt, das ihnen untergekommen war. Der Krieg und das Beispiel der Lager hatten ihnen bewiesen, dass ihnen der Himmel dabei ganz sicher nicht auf den Kopf fiel.
In den Lagern als Rauch im Schornstein zu enden, war das Sinn- und Zweckloseste, das man sich vorstellen konnte. Vernichtung um der bloßen Vernichtung willen ist immer sinnlos. Es widerspricht der Natur. Es beleidigt jedes Prinzip, jeden Beweis, jede Beobachtung, jede Faser gesunden Menschenverstandes. Es ist nicht mal pervers. Es ist nicht mal eine Herausforderung der Götter. Es ist bloß Routine. Und das Schlimmste daran: die nackte Tatsache DASS es FUNKTIONIERT.
So gesehen waren die Bewohner des Vorwerks auf eine zynische Weise sogar um eine Nuance besser dran, als die Häftlinge in den Lagern: ihr Tod diente immerhin einem Zweck.
Meine Hände zitterten. Die Knie wurden weich. Die Erregung klang ab. Was blieb war grenzenlos tiefe Müdigkeit. Durch keinen Schlaf wirklich zu heilen.
Ohne, dass ich es bemerkt hätte, war Catherina neben mich getreten.
„ Wir können die Pferde nicht allein im Wald lassen.“
Sie hatte Recht.
Trübes Mondlicht zwischen den kahlen Bäumen. Zwei Mal stürzte Catherina auf dem Weg zurück. Zwei Mal half ich ihr auf. Beide Male ohne, dass irgendein Wort gefallen wäre.
Wir erreichten die Pferde lange nach Mitternacht. Freudiges Schnauben, sobald sie unsere Witterung aufnahmen. Catherina legte den Kopf
Weitere Kostenlose Bücher