Wolkenfern (German Edition)
ihrem düsteren New Yorker Hotel, wurde Antoni Mopsiński klar, dass ein schrecklicher Irrtum vorgefallen war. Die ganze Reise über hatte er nicht Napoleons Nachttopf persönlich im Handgepäck getragen und wie seinen Augapfel gehütet, sondern eine gewöhnliche Kristallschale für Punsch, weil seine zerstreute Frau Josephine die Pakete vertauscht hatte. Antoni Mopsiński stürzte augenblicklich zu Boden, vom Schlag getroffen und auf lange Zeit der Sprache, jeden Gefühls in der linken Körperhälfte und des halben Bewusstseins beraubt. Der Schlag traf auch die Kristallschale, die bei der Gelegenheit zu Boden fiel und in tausend Stücke zersprang. Die ganze Bescherung musste Josephine aufräumen, und als Antoni Mopsiński wieder zu sich kam – ein gutes Stück Weg, das beileibe nicht gerade verlief, hatte er dafür zurücklegen müssen –, musste er feststellen, dass nichts mehr so war wie früher. Sie lebten nicht in einem Haus, wie er es sich erträumt hatte, sondern in einer Zweizimmerwohnung auf der Lower East Side, denn in dieser Stadt, umschlossen von zwei Flüssen und dem Meer, schmolz das Geld unvorstellbar schnell dahin. Josephine trikotierte nicht mehr, sondern verdiente das tägliche Brot in der Regenschirmfabrik, die ihrer Nachbarin, der Polin Władzia und deren ungarischem Mann gehörten, dessen Name so schwer auszusprechen war, dass alle, einschließlich seiner Frau, ihn Wacek nannten. »Na, Gott sei Dank, wo er nicht sterben wird, da wird er leben!«, sagte Władzia und half Josephine den lädierten, aber genesenden Antoni Mopsiński auf die Füße zu stellen. Der Fabrikant, der kein Fabrikant mehr war, sondern Invalide, betrachtete erstaunt die untersetzte Frau mit den stachelbeerfarbenen Augen, die nicht seine Frau war, und seine Frau Josephine, die ihm auch fremd vorkam. Zum ersten Mal fanden andere Leute das, was Josephine machte, gut und nützlich, ihre Tätigkeit brachte Ergebnisse hervor, und Frau Mopsińska, die mit dem Zusammensetzen von Regenschirmen, der Erziehung ihres Sohnes Napi zu einem vernünftigen Menschen und dem Waschen, Füttern und Wickeln ihres Mannes vollauf beschäftigt war, spürte plötzliche Anwandlungen von Genugtuung, die sie aber irrtümlich für Hitzewallungen hielt. Als Gattin Mopsińska nach mehreren schönen Jahren ihren hinkenden und geistig noch nicht ganz präsenten Gatten Mopsiński auf einen ersten Spaziergang ausführte, begann es zu regnen. Josephine spannte den Regenschirm auf, der im Betrieb von Władzia und Wacek hergestellt worden war. Die goldene Kuppel, die sich plötzlich über Antoni Mopsińskis Kopf aufspannte, erinnerte ihn an den verlorenen Nachttopf Napoleons, und er verstand, dass es ein unwiederbringlicher Verlust war, der ihm aus irgendeinem Grund zugestoßen war, den zu ergründen er alle ihm noch bevorstehenden schlaflosen Nächte seines Lebens brauchen würde. Er weinte, wie er seit seiner Kindheit nicht mehr geweint hatte, als er von den letzten Momenten Napoleons las, der auf Sankt Helena systematisch vergiftet wurde. Jene kindlichen Tränen kehrten jetzt in einer salzigen Woge zurück und überfluteten das Ehepaar Mopsiński an der Ecke von Vierter Straße und Erster Avenue. Als sie nach Hause zurückgekehrt waren und die durchnässten Kleider gewechselt hatten, schrieb der ehemalige Fabrikant einen langen Brief an die Teetanten, in dem er ihnen in allen Einzelheiten erklärte, wie sie den Nachttopf aufbewahren sollten, und ihnen seinen Wert ans Herz legte, doch in den Wirren der Nachkriegszeit ging der Brief verloren und gelangte nie nach Kamieńsk. Selbst wenn er in die Hände der Teetanten geraten wäre, wäre es bereits zu spät gewesen.
Die Teetanten indessen ahnten, dass sie dieses Geschenk einem Irrtum verdanken mussten, deshalb packten sie den Nachttopf nach langer Diskussion wieder ein und versteckten ihn in einem Fass mit doppeltem Boden, oben lag das Sauerkraut, darunter in einer Kammer, vor jedem bösen Blick verborgen, der Nachttopf des Kaisers. Die Teetanten fürchteten nicht nur den bösen Blick, sondern auch Grażynkas Unbekümmertheit. Seit frühester Kindheit hatte sie ein völliges Desinteresse an materiellen Gütern an den Tag gelegt, und man musste achtgeben, dass sie nicht alles, was sie besaßen, den Kindern in Kamieńsk schenkte, die ihre Schwäche ausnutzten. Wenn jemand den Nachttopf gesehen und ihn sich gewünscht hätte, hätte sie ihn genauso ohne Zögern hergegeben wie ihre Haarbänder, die sie lachend
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