Wolkenfern (German Edition)
geschlossen hatte, und der verantwortliche Mann war höchstwahrscheinlich einer dieser Künstler, die ihr damals von freier Liebe erzählten und sie mit einer Göttin verglichen, die viele Namen hatte und große Macht und von der Shaunika noch nie gehört hatte. Einmal gab er ihr ein zähes Stück Pflanze zu kauen, und sie spürte, wie sie sich vom Boden erhob und anstatt ihrer Arme zwei grüne Flügel hatte, die schimmerten wie ein Pfauenschwanz. So flog sie über die Dächer des Village, schoss über den Hudson River, um sich auf einer Matratze in einer Fabriketage in Soho wiederzufinden. Das war der erste und einzige Flug von Shaunika Jackson aus Bed-Stuy, die kurz darauf wieder auf der Erde landete und dort bleiben sollte.
Während der Schwangerschaft nahm sie zu, stopfte sich voll mit Nusskeksen und aromatisierter Zuckerwatte, die sie im Laden naschte, wobei sie sich die klebrigen süßen Fäden um die Finger wickelte. Shaunika genoss das Dickerwerden, als bestätige es sie in einem ihr selbst noch geheimnisvollen Entschluss, wenn nun ihre nutzlose Außergewöhnlichkeit verschliss und verschwand und sie den Frauen aus der Nachbarschaft immer ähnlicher wurde. Um diese Zeit fing Shaunika an mit Demarco zu gehen, einem Jungen aus ihrer Straße, der mit ihr zusammen sein wollte, obwohl sie von einem anderen schwanger war und ihn sein Vater deshalb als Schwulen und Waschweib beschimpfte, denn in dieser Hinsicht unterschied sich Bed-Stuy nicht von anderen Teilen New Yorks und überhaupt der Welt. Shaunika hatte Demarco schon lange gefallen, eigentlich schon seit dem Moment in jenem heißen Sommer, als er sie kurz nach Ende des Schuljahrs auf einer Schaukel im Schulhof sah. Aus dem glühenden Himmel stürzte buchstäblich ein Gewitter, als hätte ihn jemand mit dem Messer aufgeschlitzt, aber sie hörte nicht auf zu schaukeln, kleine Regenbogen leuchteten in dem spritzenden Wasser auf. Shaunika streifte die weißen Lackschuhe ab, und die rosige Sohle ihrer Füße erschien Demarco als das Schönste, was er je gesehen hatte.
In den Wochen, als die schwangere Shaunika wieder ganz nach Bed-Stuy zurückkehrte, ging Demarco mit Dedra, einem finsteren Mädchen mit schönen Brüsten und starkem Willen. Dedra war die Anführerin einer Bande ähnlich finsterer Mädchen, die ihre Zeit damit verbrachten, ihren Zorn in sinnloser Gewalt gegen Schwächere und Hass auf Fremde auszutoben. Ihre Hassobjekte suchten sie wenig einfallsreich, aber im Einklang mit den lokalen Gepflogenheiten aus. Sie hassten Weiße, insbesondere Juden, die in Bed-Stuy Läden hatten, sie hassten Lehrer, insbesondere weiße Lehrerinnen, die meistens Jüdinnen waren, und weiße Polizisten, insbesondere Iren, sie hassten die Regierung, sie hassten Frauen, die anderen Frauen den Mann wegnahmen, wie sie es aus eigener Erfahrung oder den Erzählungen von Freundinnen kannten. Ohne Umschweife und großes Bedauern machte Demarco mit Dedra Schluss und sorgte sich nicht allzu sehr wegen ihres Racheschwurs, den sie ihm entgegenschleuderte, nachdem ihre Faust auf seiner Nase gelandet war. Von da an sah man Demarco fast immer vor dem Haus von La-Teesha und Shaunika stehen, er rauchte Zigaretten, säuberte sich die Fingernägel mit der Spitze seines Taschenmessers und spuckte geschickt nach den Tauben. Er begleitete Shaunika zu dem Laden, in dem sie arbeitete, und wartete auf ihren Feierabend, um sie mit derselben Hingabe auf dem kurzen Weg nach Hause zu begleiten. Demarco erinnerte La-Teesha an den alten Mop, mit dem sie in den Büros und Toiletten im Empire State Building den Boden aufwischte, denn am oberen Ende seines Bohnenstangenkörpers spross ein Schopf seltsamer Haare, fast glatt, steif, dicht und schmierfettfarben. Shaunika behandelte ihn mit sorgloser Gleichgültigkeit, ließ sich von ihm zum Spaziergang ausführen, zum Vergnügungspark, zum Eisessen und ins Bett, wo er sich als brauchbarer erwies als der Künstler, auch wenn er sie nicht mit schönnamigen Göttinnen verglich. La-Teesha hielt nicht besonders viel von Demarco, aber sie nahm ihn mit praktisch gesinnter Offenheit auf, während er seine Hilfsbereitschaft erklärte, sogar eine Heirat mit Shaunika in Aussicht stellte, wobei er darauf hinwies, dass sowohl Hilfe als auch Heirat möglich sein würden, sobald ihm das tolle Geschäft gelang, das er im Auge hatte. Erwies sich ein Geschäft als Reinfall, hatte er bald das nächste im Blick. La-Teesha bewirtete ihn mit gebratenem Reis und sonntags mit
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