Wolkenfern (German Edition)
gebratenem Hühnchen, wobei sie die Hoffnung nährte, das eine oder andere Geschäft möge gelingen, ohne dass Demarco dabei ins Gefängnis kam. Im Sommer 1964 war Shaunika so weit, dass sie ihr Kind auf die Welt bringen konnte. Nicht ohne Mühe hatten sie und ihre Mutter für das Kind eine Aussteuer besorgt, sie hatten bei Icek Kac einen Weidenkorb gekauft, ein paar Dutzend Windeln und eine neue Decke. Dieses eine Mal war es La-Teesha gelungen, ihre bescheidenen Ersparnisse vor Johnny Überraschungstasche in Sicherheit zu bringen, doch dafür hatte er es geschafft, ihr vor seinem Verschwinden das Bügeleisen und – das war wirklich die Höhe! – eine Flasche mit Haarglätter zu stibitzen.
Für eine Schwarze war, nach Meinung La-Teeshas, keine Zeit gut zum Kinderkriegen, aber sie dachte bei sich: Irgendwie wird’s schon gehen, muss ja, immer ging es irgendwie, auch wenn das Elend bei ihnen in Bed-Stuy schlimmer wurde. Als im Juli ein weißer Polizist, ein Ire, in Yorkville einen fünfzehnjährigen schwarzen Jungen namens James Powell erschoss, flammten die Unruhen zuerst in Harlem auf und sprangen dann auch über nach Bed-Stuy. Die Geschichte ging in Windeseile von Mund zu Mund, von Zorn genährt wuchs sie Schicht um Schicht wie ein Baumkuchen. Angeblich hatte der Polizist die vor einer Schule spielenden Jungen angegriffen, ohne jede Provokation ihrerseits: Drei Schüsse hatten den Jungen getroffen, in Herz, Bauch und Auge. Drei Schüsse! Schieß, ermorde noch einen Nigger!, schrie ein Mädchen, und bald war es eine ganze Menge, die Flaschen warfen, Gehsteigplatten herausrissen, während sich der Zorn, der aus ihren Körpern stieg, wie eine schwarze Wolke über der Stadt zusammenballte. Das hab ich kommen sehen, seufzte La-Teesha und vergrub im Hintergärtchen eine Dose mit den wertvollsten Gegenständen, die sie besaß, nur zur Vorsicht. Ziegelsteine flogen durch die Fenster in die Häuser, wo die verschreckten Bewohner unterm Tisch oder im Schrank saßen, Autos gingen in Flammen auf, Läden wurden demoliert und geplündert, vor allem, wenn sie Juden gehörten, denn irische Läden waren nicht zur Hand. Die Unruhen im Juli 1964 kamen zunächst fast lautlos nach Bed-Stuy, und diese Stille, unterbrochen von Schüssen, trappelnden Füßen, einem Schrei, der abbrach wie abgeschnitten – diese Stille war es, woran La-Teesha sich später erinnerte, an die schreckliche Stille zwischen den Geräuschen.
Shaunika hatte an diesem Abend gar nicht vorgehabt auszugehen, und niemand fand je heraus, was sie doch dazu bewogen hatte. La-Teesha war sich sicher, dass jemand sie herausgelockt hatte. In einem roten kurzen Kleid, ohne Tasche und ohne Geld, so sei sie hinausgelaufen. Nur auf einen Augenblick, ich geh über den Hof, wer wird schon einer Schwangeren was tun? Als sie nach einer Stunde noch nicht zurück war, begann ihre Mutter sich Sorgen zu machen, und als Demarco atemlos und mit blutbeschmierter Stirn am Küchenfenster erschien und nach Shaunika fragte, wurde sie hysterisch. Mehrere Stunden lang suchten sie entlang der Nostrand Avenue nach ihr, in den Seitenstraßen, im Park, bei allen Bekannten, Shaunika! , riefen sie und saßen immer wieder ihrem Irrtum auf, wenn im Dunkeln eine Gestalt auftauchte, die ihr zu gleichen schien. In den frühen Morgenstunden, als sie nicht mehr so wachsam waren wie am Anfang der Suche, stießen sie auf einen jungen weißen Polizisten, der ihnen schreiend befahl, stehen zu bleiben und die Hände hochzunehmen. Hau ab, Mammy!, schrie Demarco La-Teesha zu, und sie rannten die Straße hinunter, an den braunen Ziegelhäusern, unter den dunklen Fenstern vorbei, durch Hinterhöfe und kleine Gärtchen mit trocknender Wäsche, zwischen Schuppen voll mit Gerümpel und Hundehütten. La-Teesha wusste, lange würde sie nicht mehr laufen können, da fiel der erste Schuss, und sie raffte sich noch einmal zu einer weiteren Anstrengung auf, sie war eine starke Frau, die ein Betttuch mit den bloßen Händen so auswringen konnte, dass kein Tropfen Feuchtigkeit mehr darin blieb, doch sie war ganz eindeutig nicht zum Laufen geschaffen, sie rannte mit einwärts gebeugten Knien, hin und her schwankend und die Brust festhaltend. Sie wollte Demarco sagen, er solle ohne sie weiterlaufen, sie werde es schon allein schaffen, aber sie bekam kein Wort heraus, wieder fiel ein Schuss, und das Geschoss pfiff mit einem sengenden Luftstoß direkt an La-Teeshas Wange vorbei, sie stolperte – und sah, dass die Tür zu
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