Wolkenfern (German Edition)
ihr, Dominika Chmura von Piaskowa Góra, gehört. Sie rezitiert weiter: »Ich werde dir nicht sagen, zu welcher Seite du Kurs nehmen sollst, das musst du in deinem eigenen Herzen entscheiden.«
V
Schon vor dem Krieg hatten die Teetanten jedes Jahr Vorräte angelegt, als rechneten sie mit einem Jahrhundertwinter. Mit großen Körben gingen sie auf den Markt, betasteten Früchte und wühlten im Gemüse, wobei ihre Gesichter einen Ausdruck von gesammeltem Ernst und unterschwelligem Misstrauen annahmen, als handele es sich um eine wesentlich gewichtigere Aufgabe als den Kauf von Obst und Gemüse zum Einmachen.
Die Äpfel in diesem Herbst waren nicht berühmt. Nicht berühmt, seufzten sie, missratene Fürzchen, diese Äpfel. Aber die Birnen! Sie werden Birnen in Essig machen und Birnenkonfitüre mit Ebereschenbeeren, köstlich zu Fleisch, und wenn kein Fleisch da ist, isst man sie zu Kartoffelpuffern. Vielleicht auch ein paar Gläser Birnenkompott mit Nelken und Johannisbeersirup, der eine hübsche rosa Farbe verleiht, und die Gäste werden fragen: Wie machen Sie das nur, Frau Róża, Frau Aniela, dass die Birnen so rosa sind? Clapps, Limoneras und Lucas, herrliche Früchte, in ihrer Form den hiesigen Frauen ähnlich und auch in den Farben, falbgolden, hier und da ein wenig braun, verfleckt und ein bisschen lädiert.
Die Teetanten suchten aus, sortierten, hoben Früchte gegen das Licht, als wollten sie durch die Schale und das Fruchtfleisch hindurch einen im Innern versteckten Schatz erspähen. Und wie sie feilschten! Sie wussten genau, wie viele Male sie sich abwenden mussten, sagen mussten, ach, dann nicht, wir gehen woandershin, und wann sie nachgeben und auf das Geschäft einschlagen mussten. Das Allerwichtigste jedoch war die Auswahl des Kohls für das Sauerkraut. Größe, Farbe, Duft, Beschaffenheit und Festigkeit, das alles war von Bedeutung. Sie ließen sich ein ausgesuchtes Exemplar aufschneiden und begutachteten jede Hälfte so aufmerksam, als hielten sie kostbare Stücke japanischer Keramik in den Händen. Ein guter Kohl musste außen die Farbe von keimendem Gras haben und innen das glänzende Cremeweiß von Quark, schwarze Pünktchen, bläuliche Adern und sogar zarte Streifen Gelb disqualifizieren einen Kohlkopf sofort. Und dazu muss er riechen wie unreife Weizenkörner, eine Mischung von Frische und Nussigkeit, nichts sonst. Und einen Klang musste er haben, der Kohlkopf musste beim Durchschneiden quieken wie Mäusebrut. Wenn er quiekt, nehmen wir ihn für Sauerkraut, sagten die Teetanten und kneteten mit den Händen die Kohlköpfe, die sie aus dem Berg des einen oder anderen Karrens gezogen hatten. In diesem Jahr waren sie mit dem Ansetzen des Sauerkrauts spät dran, aber es gibt solche Jahre, in denen alles zu spät kommt, die Äpfel wollen nicht reifen und hängen trotz Sonnenscheins grün und steinhart an den Zweigen, und die Zwetschgen haben bis zum ersten Frost höchstens die Hälfte der erwarteten Süße entwickelt. Also warteten die Teetanten und warteten, unzufrieden mit dem, was es auf dem Markt in Kamieńsk oder Gorzkowice gab, bis sie schließlich entschieden, jetzt reicht’s, was es gibt, das wird gekauft und gesäuert, denn sonst werden sie zum Winter gar kein Sauerkraut haben.
Von fünf Uhr morgens an rieben die Teetanten Kohl und redeten über Grażynka, denn am Vortag hatte man ihnen zugetragen, dass Tadeusz Kruk sie in seine Fänge bringen wollte. Die ganze Nacht hatten sie darüber nachgedacht, was sie tun könnten, doch ihnen war nichts eingefallen. Es einfach verbieten? Sie hatten Grażynka noch nie etwas verboten. Ihr erklären? Wie kann man etwas erklären, über das sich nicht sprechen lässt. Den Friseur bestechen? Sie hatten keine Mittel. Fliehen? Sie wussten nicht, wohin. Sie stopften den Kohl in das Fass und wuschen sich die Füße, um ihn zu stampfen. Róża ging in die Speisekammer, um Salz zu holen, als sie nicht wiederkam, ging Aniela hinterher. Mottengift! Auf der Suche nach Salz hatte Róża das Giftfläschchen gefunden und betrachtete es jetzt gegen das Licht. Den ganzen Krieg über hatte es in einer Ecke gestanden, Staub und Spinnwebfetzen bedeckten das Fläschchen aus dunklem Glas, und als Aniela es mit dem Schürzenrand abwischte, glänzte es im Innern mondsteinfarben. Kein Mittel wirkte so wie das nach einem alten Rezept von den Teetanten hergestellte Mottengift. Wermut und Belladonna, schwarzer Pfeffer und Wolfsbeeren, Honig – unbedingt Heidehonig, jeder andere
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