Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wolkengaenger

Titel: Wolkengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Philps , John Lahutsky
Vom Netzwerk:
etwa sein Engel?,
     fragte er sich. Sah so ein Engel aus?
    Sie gingen in einen Raum, den Wanja noch nicht kannte. Er war weiß gekachelt und voller Wasserhähne. Der Teenager schaute
     sich nach etwas um, worauf er Wanja setzen konnte, dann platzierte er ihn in ein Waschbecken. »Ich bin gleich wieder da. Pass
     auf, dass du nicht alles vollblutest.« Er grinste, und Wanja sah, dass ihm ein Schneidezahn fehlte.
    Mit über den Rand baumelnden Beinen saß Wanja in dem Waschbecken und ignorierte das Pochen in Arm und Ohr. Statt Schmerzen
     verspürte er Freude. Nach so langer Zeit in der Anstalt hatte ihn endlich jemand angelächelt.
    Der Teenager kehrte mit einer großen braunen Flasche und einem Wattebausch in der Hand zurück. Er kippte etwas von der Flüssigkeit
     auf die Watte, die sich daraufhin knallgrün verfärbte, und tupfte Wanjas Wunden ab, bis sein Unterarm ebenfalls |119| ganz grün war. Die Flüssigkeit brannte, und Wanja zuckte bei jeder Berührung zusammen.
    »Nicht weinen, Kleiner. Bis zu deiner Hochzeit ist alles wieder gut.«
    »Bis zu deiner Hochzeit ist alles wieder gut«, echote Wanja. »Das sagt Tante Walentina auch immer, wenn ich mir wehtue.«
    »Du kannst sprechen? Hast du auch einen Namen?«
    »Wanja. Und wie heißt du?«
    »Ilja.«
    »Bist du mein Schutzengel?«
    Ilja sah ihn verdutzt an. »Wie meinst du das?«
    »Wika hat gesagt, wenn ich in Schwierigkeiten bin, muss ich einfach nur meinen Schutzengel rufen, und dann kommt er. Slawa
     hat mich gebissen, und du hast mich gerettet. Du musst mein Schutzengel sein.«
    »Hab ich etwa Flügel und einen Heiligenschein?« Ilja lachte. Es war das Lustigste, was er seit langem gehört hatte.
    »Dann bist du also nicht mein Schutzengel?« Wanja konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. Er dachte einen Moment lang nach.
     Er war noch nie einer männlichen Betreuerin begegnet. »Hast du heute Dienst?«
    »So ähnlich. Sie lassen mich ziemlich oft hinter euch herwischen.«
    Ilja stellte die Flasche ab und beugte sich zu Wanja herunter, um ihn hochzunehmen. Wanja wurde panisch, dass er jeden Moment
     zurück zu den jammernden, schaukelnden Kindern in sein Gitterbett gebracht werden würde. »Kannst du mich nach draußen bringen,
     Ilja?«, bettelte er verzweifelt. »Nur ganz kurz.«
    »Ich darf dich nicht nach draußen bringen.«
    Wanja war verwirrt. »Aber du arbeitest doch hier.«
    »Du hast da was nicht verstanden, Wanja. Ich lebe hier, genau wie du.« Als er Wanjas Gesichtsausdruck sah, machte er einen
     Vorschlag.
    »Pass auf. Ich bringe eben die Flasche zurück, und dann gehen wir fernsehen. Gleich fängt meine Lieblingssendung an. |120| Ich passe heute auf euch auf, es wird also niemand merken, dass du nicht in deinem Bett bist.«
    Ilja trug Wanja den Flur hinunter, an dessen Ende sich eine triste Sitzecke auftat. Sie setzten sich auf eine dünn gepolsterte
     Bank vor einen alten Fernseher, auf dem eine kümmerliche Pflanze in einem weißen Plastiktopf stand. Wanja war glücklich, dass
     er nicht zurück ins Bett gebracht worden war. Ilja machte den Fernseher an, und kurz darauf dröhnte eine mitreißende Melodie
     durch den düsteren Flur.
    Wanjas Augen wurden immer größer. In rascher Folge sah man muskulöse junge Männer in der Sonne, schöne Häuser mit üppigen
     Gärten und das funkelnde Meer mit seltsam geformten Bäumen im Sand.
    »Das ist Santa Barbara in Amerika«, sagte Ilja. »Dort scheint immer die Sonne. Es gibt weder Regen noch Schnee, und alle Menschen
     sind reich.«
    Auf dem Bildschirm war nun ein Junge in Wanjas Alter mit ordentlich gekämmten Haaren zu sehen, ähnlich der Frisur, die Tante
     Walentina ihm gemacht hatte, als er ein Major sein durfte. Außerdem waren da zwei Frauen, die beide völlig anders aussahen
     als alle Frauen, die Wanja bislang gesehen hatte. Sie trugen keine weißen Kittel, waren also eher wie Wika und Sarah, nicht
     wie Betreuerinnen. Doch im Unterschied zu Wika und Sarah war ihre Kleidung bunt und glitzerte.
    Die eine Frau war blond, die andere dunkelhaarig, und sie schrien sich an. Wanja war es gewohnt, von den Betreuerinnen angeschrien
     zu werden. Doch diese beiden schrien einander an, und der Junge schien gar keine Angst zu haben. Er erinnerte Wanja an Andrej,
     wenn er diesen leeren Ausdruck im Gesicht hatte.
    Die Dunkelhaarige kreischte: »Er ist mein Sohn! Halten Sie sich fern von ihm!« Und die Blonde kreischte zurück: »Er hat immer
     mir gehört. Sie haben ihn mir gestohlen! Ich bin seine

Weitere Kostenlose Bücher