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Wolkengaenger

Titel: Wolkengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Philps , John Lahutsky
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auf, und Sarah und Viv folgten ihr durch den Flur,
     bis sie vor einer weiteren Tür hielten, die von der Pflegerin geöffnet wurde. Wie bereits Wika vor ihnen, erstarrten sie beim
     Anblick des Grauens, der sich ihnen nun bot: Wie Tiere |131| in Käfigen saßen dort auf Plastikmatratzen nackte Kinder hinter hohen Gitterstäben. Sie lagen in ihren eigenen Exkrementen.
     Einige steckten in behelfsmäßigen Zwangsjacken.
    »Ich rang nach Luft, als ich Kinder erkannte, die ich bei meinen Besuchen in anderen Babyhäusern kennengelernt hatte«, erinnert
     sich Sarah. »In einem Gitterbett gleich neben der Tür lag Dima aus dem Babyhaus 17 in einer riesigen Lache Urin. Er erkannte
     mich ebenfalls und fing an, aufgeregt in der Pfütze herumzupatschen. Auch das normal aussehende Kleinkind, das in einem Gitterbett
     in der Ecke auf- und absprang, kam mir bekannt vor. Es war Aljoscha aus dem Babyhaus 4.«
    Sarah suchte die Betten nach Wanja ab, doch bevor sie ihn entdecken konnte, wurde sie von der Pflegerin nach draußen bugsiert
     und die Tür geschlossen.
    Auf dem Weg in ein kleines Besuchszimmer flüsterte Viv ihr zu: »Sie wissen, dass es falsch ist, und wollen nicht, dass wir
     es sehen.«
    Wanja wurde von einem anderen Teenager gebracht, der ihm hastig und wahllos irgendwelche Kleidungsstücke übergestreift hatte,
     die einst bunt gewesen, mittlerweile jedoch vollkommen ausgeblichen waren: ein schwarz-grün kariertes Hemd, eine schlabberige
     Schlafanzughose und eine viel zu kleine Strickjacke.
    Wie immer sagte Wanja das, was ihm am wichtigsten war, als Erstes. »Ich bin so müde.« Er sprach mit kaum hörbarer Stimme,
     und ihm war anzusehen, wie er gegen das starke Beruhigungsmittel ankämpfen musste, um nicht einzuschlafen. Zu schwach, um
     aufrecht sitzenzubleiben, fiel er in seinem Stuhl zurück wie ein alter Mann.
    Sarah zeigte ihm ein Bild von Andrej und fragte ihn, wer das sei. Zuerst war er der Meinung, er sei es selbst, doch schließlich
     sagte er: »Andrej.«
    Es waren noch keine drei Minuten vergangen, als bereits die Betreuerin hereinkam, um sie zu kontrollieren. Sarah fragte, ob
     die Kinder Spielsachen hätten. Die Frau antwortete, es gäbe ein extra Spielzimmer für die Kinder. Als Wanja das |132| hörte, sah er sie mit einem Blick an, der sagte: Lügnerin. Die Angestellte gab ihnen noch fünf Minuten.
    Von da an wurden die Abstände, in denen die Frau die Besucher in Augenschein nahm, immer kürzer und die Atmosphäre noch unbehaglicher.
     »Wir waren fest entschlossen, noch einen Blick in das Zimmer zu werfen, in dem Wanja, wie uns nun klar wurde, vierundzwanzig
     Stunden am Tag verbrachte. Als wir hereinkamen, begann Dima wieder in seiner Urinlache herumzupatschen. Ich streckte ihm eine
     Hand entgegen, wurde dann jedoch unfreundlich aufgefordert, zu gehen. Als ich Wanja der Betreuerin übergab, sagte er leise:
     ›Ich werde an dich denken.‹«
    Die Teenager wollten Sarah und Viv aus dem Gebäude hinausbegleiten, doch die Betreuerin ließ sie nicht gehen. Sie brachte
     die beiden Frauen zur Treppe, zerrte die Jugendlichen wieder mit sich hinein und verriegelte die Tür von innen.
    Als Sarah und Viv draußen angelangt waren, hörten sie Stimmen von oben. Es waren die Jugendlichen, die durch die Gitterstäbe
     des fünften Stocks riefen und winkten; ihre Gesichter konnten die Frauen nicht sehen. »Bitte kommen Sie wieder«, riefen sie.
     »Kommen Sie morgen wieder. Morgen ist es besser. Kommen Sie wieder, bitte.«
    Wie unter Schock liefen die beiden Frauen zurück zum Auto. Viv versuchte verzweifelt, das Gesehene zu verstehen. »Während
     die Angestellten im Babyhaus an Tierpfleger erinnern«, sagte sie, »verhält sich das Personal in dieser Einrichtung wie Gefängniswärter.
     Ich hatte das Gefühl, einen Gefangenen zu besuchen.«
    »Einen besonders gefährlichen Gefangenen, einen Mörder«, fügte Sarah hinzu, während sie durch die Felder fuhren. »Das Schlimmste
     ist, dass die Anstalten so abgeschieden und damit außer Sichtweite der Normalbürger liegen. Wie einst die Konzentrationslager
     der Nazis. So können die Menschen leicht sagen, sie wüssten von alldem nichts.«
    »Die Welt muss davon erfahren, Sarah.«
    »Ja. Aber wie?«
    |133| »Dein Mann ist Journalist. Bring ihn dazu, darüber zu schreiben.«
    »Als ob ich das nicht schon versucht hätte. Unzählige Male habe ich es ihm nahegelegt, aber jedes Mal sagt er, das wären keine
     Neuigkeiten. Alles, was die Zeitung von ihm will, sind

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