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Wolkengaenger

Titel: Wolkengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Philps , John Lahutsky
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Artikel über die Rückkehr der Kommunisten.«
    »Erzähle ihm, was wir heute gesehen haben. Vielleicht sollte er selbst mal hinfahren.«
    Sarah und Viv erreichten die Innenstadt. An jeder Ecke versprachen Plakate den Menschen eine glanzvolle Zukunft, wenn sie
     Jelzin wiederwählten. Zig Millionen Dollar flossen in diese Werbekampagnen, mit dem Ziel, die russischen Wähler davon zu überzeugen,
     dass alles im Begriff war, besser zu werden. Für die Armen und Schwachen sah die Realität jedoch ganz anders aus. Für sie
     änderte sich rein gar nichts, während die Mächtigen immer reicher wurden. Die bevorstehende Präsidentschaftswahl war Sarah
     egal. Für sie gab es nur ein einziges Thema: Wie konnte sich eine Gesellschaft als frei bezeichnen, wenn sie Tausende Kinder
     ohne ersichtlichen Grund einsperrte?
    Sarah hatte an diesem Tag noch etwas zu erledigen und bat Viv, sie in der Nähe des Babyhauses abzusetzen. Zum ersten Mal machte
     sie sich keine Sorgen, wieder fortgeschickt zu werden; sie war von Adela mit einer Aufgabe betreut worden und kam nun, um
     Bericht zu erstatten. Zu ihrer Überraschung standen unter den Linden zwei Laufställchen, in denen die sogenannten unheilbaren
     Kinder frische Luft schnappten, was ihnen selten genug gegönnt wurde. Sie lagen allesamt genau so da, wie sie auch drinnen
     ihr Dasein fristeten, mit dem Unterschied, dass sie nun in die Sonne blinzelten. Sie waren blass wie Gespenster und erinnerten
     an nachtaktive Wesen, die ans Licht gezerrt worden waren. Drei Kleinkinder saßen in Laufstühlchen, die ausnahmsweise nicht
     an den Laufställen festgebunden waren, sich aber dennoch nicht bewegen ließen, da die Räder im Gras feststeckten.
    Adela hantierte gerade an einem der Laufställe herum. Ein |134| Seitenteil hatte sich gelockert, und sie verschnürte die Ecken mit einem alten Stück Strippe. Als Sarah näher kam, blickte
     sie auf.
    »Ich war gerade bei Wanja«, platzte Sarah ohne Begrüßung heraus.
    »Wie geht es ihm?« Dankbar, dass man ihrem Wunsch nachgekommen war, faltete Adela die Hände.
    »Sie haben recht, Adela, es ist ein entsetzlicher Ort. Schlimmer noch. Und ich kann nicht verstehen, warum Wanja dort ist.«
    Wie aus dem Nichts tauchten ein paar Angestellte auf, um zuzuhören.
    »Es ist ein Konzentrationslager. Ein anderes Wort gibt es dafür nicht.« Sarahs drastischer Vergleich ließ die Angestellten
     nach Luft schnappen, und Adela schloss die Augen, als wollte sie Sarahs Worte nicht hören.
    »Ich verstehe das nicht«, fuhr Sarah fort und achtete ausnahmsweise einmal nicht auf das, was sie sagte. »Wie können Sie Ihre
     Kinder an derartige Orte schicken?«
    Adela schwieg beharrlich. Eine der Betreuerinnen meldete sich zu Wort: »Nicht wir schicken sie dorthin. Wir unterstehen dem
     Gesundheitsministerium. Diese Anstalten aber unterstehen einem anderen Ministerium, dem Sozialministerium. Dort wird entschieden,
     wohin die Kinder kommen.«
    »Aber Sie wissen über die Zustände in den Anstalten Bescheid?«
    »Nein. Wir waren noch nie dort. Wenn die Kinder das Babyhaus verlassen, sehen wir sie nie wieder.«
    Adela murmelte irgendetwas Unverständliches und ging ins Haus, woraufhin auch die Betreuerinnen verschwanden. Sarah blieb
     allein zurück. Der kurze Wortwechsel hatte ihr schlagartig die Augen geöffnet. Sie hatte nie begreifen können, warum sich
     das Personal des Babyhauses so gleichgültig gegenüber dem Schicksal der Kinder verhielt. Warum waren Dr. Swangers Anregungen
     nicht umgesetzt worden? Warum brachte man den Kindern weder sprechen noch laufen bei? Warum wurden |135| nicht einmal die einfachsten Operationen veranlasst? Warum hatte man Wanjas Schielen nicht korrigiert?
    »In diesem Augenblick bekam ich auf all diese Fragen eine Antwort: Eine dauerhafte Betreuung der Kinder war für das Personal
     gar nicht vorgesehen. Die Babyhäuser waren lediglich eine Zwischenstation, von wo aus die Kinder weiter an ein unbekanntes
     Ziel geschickt wurden – ein Ziel, von dem vermutet wurde, dass es schrecklich war, Genaueres wollte man jedoch gar nicht wissen.
     Das war der Grund, weshalb sie keinerlei Beziehung zu den Kindern aufbauten: Sie wollten sich selbst schützen, denn sie wussten,
     dass sie die Kinder nie wiedersehen würden. Das Babyhaus war ein Lagerhaus zur Aufbewahrung der Kinder, bis irgendwann ein
     Schriftstück eintraf und sie vom Personal an die angegebene Adresse geschickt wurden.
    Doch einem dieser Kinder, einem außergewöhnlichen

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