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Wolkengaenger

Titel: Wolkengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Philps , John Lahutsky
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Krankenhaus verschaffen.
    Im Auto präsentierte Walentina ihr Geschenk für Wanja: ein orange-brauner Pullover, den sie aus Wollresten gestrickt hatte.
     Um zu verhindern, dass er im Krankenhaus verloren ging, hatte sie »W. Pastuchow« auf die Brust gestickt. Von ihrem dürftigen
     Gehalt von etwa 40 Dollar im Monat hatte sie ihm außerdem Äpfel, Kekse und ein Plastikspielzeug gekauft.
    Am Krankenhaus angekommen, erregten die drei Frauen mit dem großen Ball die Aufmerksamkeit des Sicherheitsdienstes, der ihnen
     den Zugang zur Station zunächst verweigerte. Wika musste daraufhin auf der Station anrufen, wo sie sich als Mitglied einer
     westlichen Delegation ausgab, die gekommen sei, um wichtige medizinische Geräte abzugeben. |162| Auf dem Weg hinein liefen sie dem Stationsarzt in die Arme, einem Mann mit scharf geschnittenen Gesichtszügen, der sie freundlich
     begrüßte. Sarah überreichte ihm den Gymnastikball, mit dem er zunächst verschwand. Als er kurze Zeit später wieder zurückkam,
     war aus dem freundlichen Dr. Jekyll Mr. Hyde geworden. Er stellte sich ihnen in den Weg und schrie Wika an: »Wer hat Ihnen
     erlaubt, diesen Jungen zu besuchen? Wie kommen Sie darauf, dass er Besuch braucht? Sie sind nicht seine Mutter. Er hat eine
     Operation hinter sich. Außer Müttern kommt hier niemand rein.«
    Er redete sich immer mehr in Rage, bis Sarah ihn unterbrach. »Aber er hat keine Mutter. Wika ist der Mensch auf der Welt,
     den er am meisten liebt.«
    Während der Arzt weiter tobte, konnte Sarah aus dem Augenwinkel beobachten, wie Walentina ihre Stiefel auszog und in ihre
     Dienstuniform – weißer Kittel und Haube – schlüpfte. In dieser Tarnung huschte sie an dem Arzt vorbei und machte sich auf
     die Suche nach Wanja.
    Schließlich einigte man sich darauf, dass Wanjas Bett auf den Flur geschoben wurde, wo die »Nichtmütter« ihn besuchen durften
     und mitansehen mussten, wie die anderen Kinder auf der Station von ihren Müttern mit selbst gekochtem Essen umsorgt wurden
     und Geschichten vorgelesen bekamen. Wanja hatte all das nicht. Er freute sich natürlich über seinen Besuch, doch mehr als
     ein schwaches Lächeln brachte er aufgrund der Schmerzen in den Beinen nicht zustande. Niedergeschlagen begriffen die Frauen,
     welch einsamer Ort ein Krankenhaus für ein Kind ohne Mutter war. Als eine Krankenschwester kam, um die Verbände an seinen
     Füßen zu kontrollieren, tat sie dies, ohne auch nur ein Wort mit Wanja zu wechseln.
    »Im Laufe der Zeit musste ich feststellen, dass in dem Krankenhaus alles davon abhing, ob ein Kind eine Mutter an seiner Seite
     hatte oder nicht«, sagt Sarah. »Kinder mit Müttern erhielten Anwendungen im Schwimmbad und Krankengymnastik. Wanja jedoch
     war vollkommen sich selbst überlassen. |163| Erneut waren es Wika und ich, die sich darum kümmerten, dass er Besuch erhielt. Wika erstellte einen Besuchsplan mit Mitgliedern
     aus ihrer Gemeinde, und ich fand zwei hilfsbereite britische Studenten, die ein studienfreies Jahr eingelegt hatten.«
    Wanja selbst blieb ebenfalls nicht untätig. Er suchte sich eine neue beste Freundin: Elvira, das aufgeweckteste Waisenkind
     der Station – eine kleine Schönheit in seinem Alter mit kohlrabenschwarzem Haar. Außerdem bezauberte er die Mutter eines Kindes
     und brachte sie dazu, ihm vorzulesen und Essen mitzubringen. Seine größte Leistung war es jedoch, dass er den Chefarzt des
     Krankenhauses so von sich überzeugte, dass dieser ihn, entgegen der Diagnose des Babyhauses, einen »vollkommen normalen kleinen
     Jungen« nannte.

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    |164| 12.
HÄNSEL UND GRETEL
    März 1997
    Wanja quiekte vor Vergnügen, als er Sarah und Wika dabei zusah, wie sie den Krankenhausflur umräumten, den er sich mit Elvira
     teilte. Zunächst schoben sie die einzelnen kleinen Tische zu einer langen Tafel zusammen. Dann begannen sie, von überall her
     Stühle in den Flur zu tragen und um den Tisch zu stellen. Das gefiel Wanja allerdings weniger, und er wurde unruhig.
    »Sarah, Wika. Die Stühle dürfen nicht hin- und hergetragen werden. Sie werden mit euch schimpfen.«
    Wika strich ihm liebevoll über den Kopf. »Keine Sorge, Wanja. Heute ist ein ganz besonderer Tag. Da dürfen wir es.«
    Wika stellte den größten Stuhl, der sogar Armlehnen hatte, an das Kopfende der Tafel, wo er die anderen kleinen Plastikstühle
     überragte. »Das ist dein Platz, Wanja«, sagte sie und half ihm hinauf.
    Sarah stellte eine Einkaufstasche vor Wanja auf den Tisch

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