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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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waren überglücklich, ‚ihrer kleinen Französin’ einen Herzenswunsch erfüllen zu können.
    Einen Tag vor der Fete kam Christoph aus München zu mir nach Hause. Er hatte Semesterferien und wollte die Ruhe vor dem neuen Sturm nutzen, um bei mir abzuschalten und auszuspannen. Und um gemeinsam mit mir endlich auch die Fronten zu klären. Er war noch nie bei uns zu Hause gewesen – na ja, vielleicht, als wir beide noch kleine Jungen waren und uns mehr gerauft als vertragen hatten, aber daran hatte ich keine Erinnerungen mehr. Ich war schon die ganze Woche über furchtbar aufgeregt und unruhig gewesen, hatte sogar meiner Mutter beim Hausputz geholfen und mein Zimmer penibel aufgeräumt. Meine Mutter hatte meine Nervosität sehr wohl gespürt, aber kein Wort darüber verloren.
    Als sein Wagen schließlich in unsere Straße und dann in unsere Auffahrt einbog, wäre ich am liebsten hinausgerannt, um ihm um den Hals zu fallen. Wir hatten uns seit Wochen nicht mehr gesehen, zuletzt zu Pfingsten, als ich für zwei Tage zu ihm gefahren war. Wir hatten es nicht mehr ausgehalten, und meine Mutter hatte meinem Bitten schließlich nachgegeben. Mein Vater hatte nichts davon erfahren, weil er wieder einmal auf einem Apothekerkongress war. In der Zwischenzeit hatten wir uns nur am Telefon gehört und über PC gechattet, jeden Tag fast eine Stunde lang. Trotzdem vermisste ich ihn schrecklich: seine Augen und seine Hände, die mich so wunderbar liebkosen, seinen Körper, der mich so glücklich machen, seine Stimme, die mich so weit tragen konnte.
    Trotz dieses schier unbändigen Verlangens nach ihm zwang ich mich, langsam nach draußen zu gehen, ganz cool neben ihn zu treten, als er seine Tasche aus dem Kofferraum herausholte. Ich sah, wie seine Hände dabei vor unterdrückter Aufregung zitterten. Also ging es ihm genauso wie mir! Er schloss schwungvoll die Heckklappe und wandte sich dann entschlossen zu mir um: „Hi, mein Süßer!“ Sein Blick umschlang mich, und endlich auch seine Arme.
    Ich spürte sein Herz rasen. Fast unhörbar flüsterte ich in sein Haar: „Hast du Angst?“ 
    Er atmete tief durch: „Ein bisschen. Du?“ Was für ein Understatement! Ich spürte seine Muskeln vor nervöser Anspannung unter meinen Fingerspitzen vibrieren. Mir war es bis eben genauso gegangen. Doch jetzt, da ich ihn dicht bei mir wusste, war plötzlich alle Unruhe in mir wie weggeblasen. „Jetzt nicht mehr. Jetzt bist du da, komme, was da wolle!“
    Er lachte leise: „Du bist der Frontman von uns beiden! Ich liebe dich.“
    „Aber ohne dich im Background bin ich gar nichts. Ich liebe dich auch.“ Es war eine lange, intensive Umarmung – zu lang für eine flüchtige Bekanntschaft, zu intensiv für eine Freundschaft. Aber es gab keinen Kuss, denn ich wusste, dass in diesem Moment sämtliche Nachbarn an ihren Fenstern standen und durch die Gardinen oder gleich die blanken Scheiben schielten, um zu sehen, wer denn da bei Kiebels mit einem Auto mit Münchener Kennzeichen vorgefahren war. Sollten sie doch glotzen! Irgendwann würde ich mit Christoph Hand in Hand an ihnen vorbeispazieren. Irgendwann!
    „Los, komm rein!“ Ich ließ ihn vorsichtig aus meinen Armen gleiten und schulterte entschlossen seine Tasche.
      Meine Mutter begrüßte Christoph sehr herzlich, wenn auch ein wenig zurückhaltender, als Tante Melanie es bei mir getan hätte. Für meinen Vater, der erst am Abend aus dem Geschäft zurückkam, war Christoph dagegen wie ein Fremder, und dementsprechend wurde er erst einmal von oben bis unten taxiert, höflich, aber kühl. Mehr passierte nicht – vorerst. Christoph schlief in den ersten beiden Nächten im Gästezimmer, was mich fast verrückt machte. Er war mir so nahe, nur durch eine dünne Wand von mir getrennt, und doch nicht bei mir! Aber wir hatten uns geeinigt, es langsam angehen zu lassen und meine Eltern, insbesondere meinen Vater, nicht Hals über Kopf mit unserer Beziehung zu konfrontieren. Das schien eine gute Strategie zu sein. Dachten wir.
     
    Die Fete am Tag vor der Zeugnisausgabe war ein voller Erfolg. Celine war der Star des Abends, und jeder riss sich um sie, sei es auf ein paar Worte zu plaudern, sei es für einen Drink oder, später am Abend, für einen Tanz mit ihr. Sie sah wunderschön aus in ihrem dunkelblauen, langen Kleid, das mit seinem samtigen Schimmer das Glitzern ihrer Augen noch mehr betonte. Sie hatte das Haar hochgesteckt, was sie sehr damenhaft und erwachsen aussehen ließ; Make-up trug sie

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