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Wolkentaenzerin

Wolkentaenzerin

Titel: Wolkentaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nichole Bernier
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Ende der Tagebücher ihr keine Erleichterung. Es hatte sich wie ein Gespräch angefühlt, die Tagebücher zu lesen, eine Unterhaltung, die nie geführt worden war, und sie wollte nicht, dass sie aufhörte. Es gab nichts, niemanden, der Elizabeths Platz einnehmen konnte.
    Mit einem Glas Eistee neben sich setzte sich Kate auf die Chaiselongue und schlug die letzten Seiten des Tagebuchs auf.

    Im Spätherbst 2000 hatte sich der Tonfall von Elizabeths Einträgen verändert. Sie waren heiterer und drehten sich um lustige und frustrierende Ereignisse rund um die Kinder, um Einzelheiten ihres Familienlebens und um Urlaubspläne. Die Kinder spielen im Wohnzimmer mit dem Krippenspielset und tun so, als wären Maria, Josef und der Engel drei Golfspieler. Ich glaube, der Engel hat gerade »Achtung Ball!« gerufen. Dieses Jahr haben sie richtig Lust darauf, und nach all den Jahren, in denen es mir vor Weihnachten gegraut hat, freue ich mich nun auch. Nadia bezeichnet es als gutes Barometer fürs Glücklichsein .
    Wieder versuchte Kate, jemanden mit dem Namen Nadia einzuordnen, doch es gelang ihr nicht.
    In diesen Monaten gab es keine Zeichen von Unzufriedenheit mehr. Elizabeth erwähnte hin und wieder die Malerei und ihre zaghaften Pläne mit der Inselgalerie. Sie hatte jahrelang nicht mehr so oft und innig über Dave geschrieben wie jetzt.
Dave hat vor ein paar Tagen den Spider zum Laufen gebracht und ist im siebten Himmel. Alle Fenster runter mitten im Dezember, das Haar vom Wind zerzaust. Man sieht die kleine Stelle, wo es dünner wird, die er sich aber nicht eingesteht und die ich mit Sicherheit nicht ansprechen werde. Er kam mit tausend Metern Weihnachtsgirlanden zurück, die ich dann am Geländer angebracht habe, während Anna geschlafen hat. Als sie aufgewacht ist, stand sie oben an der Treppe, und ihr sind fast die Augen ausgefallen. »Mommy! AN DER TREPPE IST EINE HECKE GEWACHSEN!« Unfassbar, dass wir nächstes Jahr um diese Zeit ein drittes Kind haben!
    Es klang mehr nach der Elizabeth, die Kate gekannt hatte, nach einer Mutter, die ihre Familie über alles liebte. Sie begeisterte sich für ihre Schwangerschaft, dokumentierte jede Kleinigkeit und jeden Ultraschall, als wäre es ihr erster. Die Sonde kletterte die Wirbelsäule wie eine Treppe hinauf und zoomte dann das Gesicht ran. Der Fötus hatte eine Hand vor den Augen, als hätte er schon keine Lust mehr auf uns und unser ständiges Glotzen: Ah, schon wieder Paparazzi!
    Gleich nach Emilys Geburt war Kate aus Washington gekommen und hatte es ins Krankenhaus geschafft, bevor Elizabeth entlassen wurde. Sie saß neben ihr auf dem Bett und sah in die matten Augen des Säuglings, so undurchdringlich und reglos wie die eines großen Fischs. Sie redeten über die kleinen Makel, die eine Mutter eigentlich gar nicht bemerkten sollte: ein umgeknicktes Ohr, genau wie bei Jonah, von dem man hoffte, dass es sich wieder aufklappte; ein Wirbel Haare zwischen den Schulterblättern – halb Engel, halb Gnom –, von dem man sich wünschte, dass er sich in der Mauser verflüchtigen würde.
    Elizabeth konnte ihre Erleichterung darüber, dass es wieder ein Mädchen war, nicht verbergen. Ich bin so froh, dass sie einander haben werden .
    Kate hatte schwach gelächelt und an die durchwachsene Beziehung zu ihrer Schwester Rachel gedacht. Doch schon während sie darüber nachdachte, berichtigte sie sich. Eine Beziehung entwickelte sich ständig weiter, und solange beide Seiten am Leben waren, konnte sie sich verändern. Stattdessen sagte sie aber zu Elizabeth: Na ja, manchmal sind die Freundinnen, die man findet, ebenso gut wie eine Schwester .
    Damals hatte Kate geglaubt, dass das für sie beide galt, aus verschiedenen Gründen. Elizabeth dachte wahrscheinlich, Kate könnte sich nicht vorstellen, wie es war, Einzelkind zu sein. Wenn man keine Geschwister hatte, auf die sich die übereifrige Liebe der Eltern verteilen konnte. Sie wusste ja nicht, dass Elizabeth eigentlich kein Einzelkind war und es diese erdrückende Liebe nie gegeben hatte. Und Kate hatte angenommen, dass Elizabeth nie verstehen würde, wie es war, sich stets minderwertig zu fühlen. Wie wenig Kate doch gewusst hatte.
    Sie hatten lange schweigend dagesessen, glücklich und melancholisch zugleich, und Kate hatte ihre Kamera hervorgeholt und das Foto geschossen, das seitdem am Kühlschrank der Martins hing. Elizabeth, blass in ihrem Nachthemd, und das Baby, ein rosafarbener Klecks an ihrer Brust.

    Kate hob den Deckel

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