Wolkentaenzerin
sicher, dass sie es mit im Flugzeug hatte.«
Als sie das Flugzeug erwähnte, wandte er den Blick ab. Er wollte nicht, dass ihre Unterhaltung diese Richtung einschlug. Und sie wollte das ebenso wenig.
»Ab wann wolltest du es wissen?«, fragte sie.
»Hm?«
»Ab wann wolltest du die Bücher haben? Zu Beginn des Sommers wirkte es so, als ob du sie gar nicht wolltest. Du hättest sie lesen können, als du noch die Gelegenheit hattest, bevor du sie mir überlassen hast. Es muss doch einen separaten Schlüssel gegeben haben, oder du hättest die Truhe aufbrechen können.«
Er trank erst einmal von seinem Bier und ließ den Kopf zurück gegen die Lehne sinken, als er schluckte.
»An manchen Tagen wache ich auf und denke, dass sie gerade unter der Dusche ist oder die Kinder aufweckt. Dann brauche ich ein paar Minuten, um mich daran zu erinnern, dass sie nicht da ist. Wenn jemand noch so real ist, fühlt es sich durch und durch falsch an, etwas zu tun, von dem man weiß, dass die Person damit nicht einverstanden ist. Aber ehrlich gesagt wollte ich es auch nicht wirklich wissen.«
Kleine Laute von Emily drangen durch das Babyfon, und Dave drehte es einen Tick lauter. Aus leichtem Wimmern drohte ein Weinen zu werden, das dann aber wieder verklang.
»Nachdem ich genug gelesen hatte, um zu wissen, dass da noch etwas anderes im Spiel war, und sie dann dir gegeben habe, hat sich etwas verändert. Natürlich sind es ihre, aber sie ist nicht mehr da, und irgendwann ging es nicht mehr darum, alles stillstehen zu lassen. Ich klinge vielleicht wie ein kalter Scheißkerl, und versteh mich nicht falsch, sie fehlt mir wie nur sonst was. Sie war die Seele hier im Haus.«
Kate fiel auf, dass er in die Vergangenheitsform verfallen war. Hin und her, seiner Frau nahe und dann wieder weit von ihr entfernt.
»Aber sie hatte ihre eigenen Pläne, und ziemlich oft hatte das gar nichts mit mir zu tun«, fuhr er fort. »Es nützt alles nichts, bis ich herausgefunden habe, wo all das herkam, weil ich diese Art von Friede, Freude, Eierkuchen nicht mit den Kindern weitermachen will. Ich will, dass sie das Gefühl haben, wirklich mit mir reden zu können.«
»Du meinst, dass sie offen sagen können, was sie denken.«
Natürlich lag in dieser Aussage Ironie, doch das war nicht Kates Absicht gewesen. Dave sah sie unvermittelt an.
»Du weißt nicht alles, Kate.«
»So habe ich das nicht gemeint. Ich bin deiner Meinung. Es ist wichtig, offen mit seinen Kindern reden zu können. Man weiß nie, was sie alles so mitkriegen, sich dann aber nicht trauen, es anzusprechen.«
Kate pulte am Stoff ihres Sessels. »Das war ja auf jeden Fall so bei Elizabeth, als sie klein war.«
Sie dachte an Elizabeths letztes Tagebuch. Ich will auf keinen Fall, dass es die Kinder irgendwie beeinflusst. Bisher ging’s gut, und wie verquer es auch klingen mag, ich war selten so stolz auf etwas. Na ja, mag sein. Man wusste nie so genau, was für eine Wirkung man hatte, welche Version seiner selbst die Kinder sahen und welche ihnen blieb. In welchem Alter, fragte sich Kate, entwickelten Kinder einen Sensor für Wahrheit und Lügen und für diesen trüben Bereich, in dem Erwachsene sich so und so verhielten, sich aber ganz anders fühlten? Wahrscheinlich schon viel früher, als die meisten Erwachsenen annahmen.
Dave streckte die Beine vor sich aus und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Dann seufzte er tief.
»Sie hat immer gern mit dir gesprochen, Kate. In dir hat sie eine Aufrichtigkeit gesehen, die ihr nicht von besonders vielen Leuten hier in der Gegend entgegengebracht wurde. Das hat sie gesagt, als sie letzten Sommer von eurem Spaziergang am Strand zurückkam. ›Kate versteht es.‹«
Kate wandte den Kopf ab, damit Dave nicht sehen konnte, was seine Worte bei ihr auslösten. Sie schluckte und fasste sich an den Kopf, um sich den Pony aus der Stirn zu schieben.
»Weißt du, ich glaube, dass sie es uns beiden erzählt hätte, wenn sie mehr Zeit gehabt hätte«, vermutete Dave.
Kate war überrascht, wie ruhig er klang. »Aber letztendlich ist das alles nur Spekulation, nichts davon macht einen Unterschied. Es läuft alles darauf hinaus, dass sie den verdammt falschen Zeitpunkt erwischt hat, um in den Flieger zu steigen.«
Bei dem Wort Zeitpunkt sah Kate auf die Uhr. Es war 20.47 Uhr. Ihr Zug würde Stamford in neun Minuten verlassen, zu knapp, selbst wenn sie bereits in einem Taxi säße.
»Oh nein«, sagte sie. »Ich hab ihn verpasst. Den Zug.«
Dave
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