Wolkentaenzerin
beschloss Elizabeth, länger zu bleiben, und ihr Tutor war damit einverstanden, ihren Studentenstatus einzufrieren. Ihre Mutter besuchte sie daraufhin, und Elizabeth war klar, dass sie sie dazu überreden wollte, an die Uni zurückzukehren. Sie hat ihr wahres verqueres Gesicht gezeigt: Es geht darum, etwas zu Ende zu bringen, hat sie gesagt, es durchzuhalten. Es ist schlechtes Karma, wenn man sein Leben nicht ins Gleichgewicht bringt . Elizabeth blieb den ganzen Herbst, nahm eine Stelle in einer Trattoria an und brachte mehrere Tage die Woche damit zu, im Tausch gegen einen Platz im Atelier die Pinsel eines Kunstlehrers in Santo Spirito zu reinigen und sich um die Anmeldungen zu kümmern.
Kate las die Aufzeichnungen wie einen Reisebericht. Sie war mit Chris an exotische Orte gereist und hatte im Zuge ihrer Ausbildung ein paar Praktika im Ausland absolviert, war aber nie in Italien gewesen. Tatsächlich hatte sie sich nie länger als eine Woche außerhalb der Vereinigten Staaten aufgehalten, nie lange genug, um so in das Leben und die Kultur einzutauchen, dass sie sich nicht mehr wie eine bloße Beobachterin fühlte. Wenn Kate mit Elizabeth darüber gesprochen hatte, wie sehr sie Chris um seine Reisen beneidete, hatte diese ihr mit aufmerksamem Lächeln zugehört, ihr Auslandssemester aber nur nebenbei erwähnt.
In den Einträgen aus Florenz hörte Elizabeth sich glücklicher an, als Kate sie bisher in den Tagebüchern erlebt hatte. Das kam nicht nur daher, dass sie sich amüsierte und selbstsicherer geworden war, obwohl das auch eine Rolle spielte. Es lag so viel Optimismus darin, wie sie ihre Lebenssituation und ihre Zukunftspläne beschrieb, keine Spur von Sehnsucht danach, irgendwo anders zu sein. Und doch war sie noch nicht die Freundin, die Kate gekannt hatte. Ihr fiel es nicht leicht, den Unterschied in Worte zu fassen: Vielleicht war es das lebhafte Temperament oder ihre Offenheit. Elizabeth war noch nicht zur stillen Beobachterin geworden.
17. September 1984
Es treibt mich in den Wahnsinn, dass ich nicht konsequent durcharbeiten kann. Eine Woche lang läuft’s prima, ich gehe komplett darin auf, und dann komme ich ins Atelier und finde alles scheiße, nichts als langweiliger Klischee-Müll, mit falschen Helligkeitsabstufungen und ungefähr so einfallsreich wie eine Hallmark-Grußkarte. Stundenlang verzweifle ich darüber, bin sicher, dass ich nur meine Zeit verschwende, und fühle mich wie die Karikatur eines kleinen Mädchens, das schauspielert. Ich will schon fast nach Hause fahren und einfach mein Studium abschließen. Dann arbeite ich ein paar Tage in der Trattoria, und wenn ich dann wieder ins Atelier gehe, sieht es schon nicht mehr so schlimm aus. Ein neuer Tag, ein neues Licht.
29. November 1984
Dad hat gestern Abend angerufen, auf dem Haustelefon bei Signora P, das hat er noch nie getan. Hat erst mal Small Talk gemacht, überhaupt nicht sein Ding, und gefragt, wann ich nach Hause komme. Was ist los, Dad, spuck’s aus.
»Deine Mutter ist krank«, hat er gesagt. »Sie sollte nicht mehr alleine wohnen.«
Sie spielte natürlich alles herunter, als ich sie anrief, und war sauer, dass Dad es mir erzählt hat. Aber sie hat furchtbar geklungen und nicht diskutiert, als ich gelogen habe, dass ich mein Rückflugticket schon gebucht hätte. Ich kann nichts Konkretes aus ihr herausbekommen, außer dass es keine Überraschung für sie ist und dass sie anscheinend schon eine ganze Weile krank ist.
Morgen lasse ich meine Bilder verschiffen und hole meinen Lohn in der Trattoria ab, um meine Miete bei Sra. P zu begleichen. Sie hat gerade abgewaschen, als ich ihr erzählt habe, dass ich abreise. Ich saß auf dem Hocker in der Ecke, dessen Beine schon so angeknackst sind, dass man meint, er würde jeden Moment zusammenbrechen, und habe die Katze gestreichelt. Ich sagte, dass ich in ein paar Tagen nach Hause fliege, dass meine Mutter krank ist, zumindest so gut ich das in meinem begrenzten Italienisch konnte. Sie hat aufgehört abzuwaschen, die Hände tropfnass über dem Waschbecken, und gefragt, was es sei. Ich wusste das Wort für Krebs nicht, also habe ich mir auf die Brust geklopft. Sie dachte, ich meine das Herz – mal di cuore? –, und ich habe fieberhaft nach einem anderen Wort gesucht, als dem was die Männer auf der Straße benutzen, wenn sie über Frauen reden. Mammella. Die Katze rieb ihren Kopf an meinen Beinen wie eine kleine Ziege, und ich beugte mich zu ihr hinunter und tat so, als würde ich
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