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Wolkentöchter

Wolkentöchter

Titel: Wolkentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xinran
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die Vorhänge zu. Er schien sehr häuslich zu sein, zumindest sah ich ihn häufig in der Küche beim Kochen, und an den Wochenenden hielt er die Kleinen auf dem Arm und plauderte mit den Großeltern. Es war wirklich eine Bilderbuchehe.
    Ich wiegte mich in dem Glauben, dass er nicht bemerkt hatte, wie ich ihn verfolgte, aber eines Tages bat er mich in sein Büro. Das war an sich nichts Ungewöhnliches – schließlich besuchte ich seine Seminare. Aber sobald ich ins Zimmer trat, kam er gleich zur Sache: ›Wieso verfolgen Sie mich?‹ Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. Ich muss dunkelrot angelaufen sein.«
    Na schmunzelte und hob die Hände vors Gesicht.
    »Ich beschloss, ihm einfach die Wahrheit zu sagen. Ich erklärte ihm, dass ich herausfinden wollte, ob es heutzutage wirklich noch glückliche Familien und treue Ehemänner gab. Er fragte mich: ›Und? Gibt es welche? Haben Sie irgendwelche Beweise gefunden?‹ Ich sagte: ›Ich glaube schon – Sie zum Beispiel!‹ Er schien verblüfft. Nach einer Pause sagte er: ›Wissen Sie, Männer sind nicht wie Frauen. Sie reagieren völlig anders, nicht nur psychologisch, sondern auch physiologisch. Ihre Gefühle sind anders, ihre Sichtweise der Dinge, ihre Haltung zu Sexualität und Verantwortung.‹
    Seine brüske Antwort enttäuschte mich. Dasselbe hätte ich auch in irgendeinem Buch über Beziehungen zwischen Männern und Frauen lesen können. Von ihm hatte ich etwas Tiefsinnigeres erwartet.
    Aber dann rief er mich irgendwann später erneut in sein Büro, und diesmal sagte er etwas, das mich schockierte: ›Sie sollten nicht alles glauben, was Sie sehen und hören. In Wahrheit bin ich gar nicht der tugendhafte Mann, für den Sie mich halten. Es vergeht kein Tag, an dem ich keine lüsternen Gedanken habe. Und ich habe meine Frau betrogen. Damals waren wir noch nicht verheiratet, aber wir waren schon ein Paar, und ich hatte gleichzeitig eine Affäre mit einer anderen. Ehrlich gesagt, nur die Zwillinge waren der Grund, warum ich mit dem Fremdgehen aufgehört habe. Irgendwie haben sie mein Herz an die Kette gelegt. Und ich konnte es nicht ertragen, die Frau zu verletzen, die mir zwei so wundervolle Kinder geschenkt hatte. Hören Sie auf, von dem perfekten Mann zu träumen! Ich habe Ihnen mein Geheimnis verraten, damit Sie mit Ihren Erwartungen an die Liebe keinen Schiffbruch erleiden. Sie sind anders als die anderen jungen Frauen. Die haben schon Erfahrungen gemacht. Sexuelle Erfahrungen sind für eine Frau das Gleiche wie die Borke an einem alten Baum. Jedes Mal, wenn ein Mann und eine Frau sich miteinander amüsieren, hinterlässt das bei der Frau eine Narbe, die nie richtig verheilt. Aber letztlich suchen und streben Männer nach den gleichen Dingen wie Frauen. Jungfräulichkeit ist ihnen wichtig, und sie suchen nach denselben Antworten wie Sie. Was immer Sie also tun, kommen Sie nicht vom rechten Weg ab! Das würde Ihren Freund verletzen, falls er noch unerfahren ist.‹
    An jenem Tag sagte ich kein Wort, aber seine Worte wollten mir nicht mehr aus dem Kopf. Als es Abend wurde, schrieb ich sie auf, versehen mit zahllosen Frage- und Ausrufezeichen. Ich wusste selbst nicht, warum ich das tat, aber allmählich, als die Dinge ihren Lauf nahmen, wurde ein Fragezeichen nach dem anderen zu einem Ausrufezeichen.
    Nicht lange danach ging ich zu ihm, um meine Dissertation zu erörtern. Ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam, aber nach einer Weile sah ich ihm direkt in die Augen und hörte mich selbst sagen: ›Würden Sie mich berühren? So wie ein Mann eine Frau berührt?‹
    ›Warum?‹, fragte er.
    ›Weil ich endlich aufwachen möchte‹, sagte ich. ›Ich möchte erleben, wie es ist, wenn ein Mann und eine Frau zusammen sind.‹
    Er sah mich lange an, dann fasste er mich mit einer Hand und bugsierte mich zur Tür seines Büros. Ich dachte schon, er wolle mich hinauswerfen, doch genau in dem Moment, als ich erwartete, dass er die Tür öffnet, begann er, mich mit einer Hand unten am Rücken zu streicheln. Dann liebkoste er meine Ohren und meinen Hals, und schließlich schob er seine Hand in meine Unterwäsche … Das war das erste Mal, dass mich ein Mann so berührte, und das Herz raste mir in der Brust. Ich wandte mein Gesicht instinktiv zu ihm hoch, doch er legte die andere Hand auf meinen Mund und sagte sanft: ›Heb dir das für deinen Mann auf!‹ Dann zog er die Hand aus meiner Unterwäsche, öffnete die Tür und sagte: ›Auf Wiedersehen.‹
    Ich habe keine

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