Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
Wenigstens war mein Krampf unterdessen verschwunden.
Die Geschichte war jedoch noch nicht ganz ausgestanden. Denn obwohl ich mich wieder auf öffentlichem Straßenland bewegte, waren Zoe und damit meine Kleider weit und breit nicht zu sehen. Weil ich lediglich über das Orientierungsvermögen eines Kleinkindes verfügte, praktisch also über gar keins, irrte ich hilflos durch die Straße in der Hoffnung, irgendwo einen Weg zu finden, der mich zur Brücke führte. Aber wenn es erst einmal schlecht lief, lief es meist gleich durchgehend schlecht. Vor mir erblickte ich plötzlich Frau Sartorius mit ihren zwei Jungs. Man sollte grundsätzlich nicht im selben Viertel wie seine Bekannten wohnen, dachte ich noch, als mich Frau Sartorius bemerkte und abrupt stehen blieb. Sie musterte mich feindlich, wobei ich nicht sagen konnte, ob es in erster Linie an meiner dürftigen Bekleidung lag oder daran, dass ich sie bei der Gartenparty von der Hollywoodschaukel geworfen hatte. Jedenfalls spürte ich, dass ich jetzt dran war, etwas zu sagen.
»Schön, dass man sich auch mal so trifft«, sagte ich fröhlich. Meine Arme hingen schlaff herab, sodass meiner Fröhlichkeit die letzte Überzeugungskraft fehlte, was mir Frau Sartorius durch ihren weiterhin feindseligen Gesichtsausdruck leider bestätigte.
»Ihre Jungs können natürlich jederzeit bei uns Fußball spielen«, fügte ich zur Abrundung unser Begegnung hinzu. Die beiden sahen ihre Mutter erstaunt an.
»Das überlegen wir uns dann noch«, erklärte Frau Sartorius kühl und zog grußlos an mir vorbei.
Wenig später stand Zoe mit der Tasche neben mir.
»Und«, fragte ich aufgeregt, »habe ich den Test trotzdem bestanden?«
Sie blickte mich ernst an. »Naja«, meinte sie, »bis zur Brücke hast du es ja nicht geschafft.« Und nach einer kurzen Pause, nachdem sie mich noch einmal von oben bis unten angesehen hatte, erklärte sie: »Aber ich will mal nicht so sein.«
Sie streckte mir ihre Hand entgegen. Von nun an waren wir echte Piratenfreunde.
Später lag ich zu Hause auf dem Sofa und dachte darüber nach, welche Auswirkungen so eine Piratenfreundschaft wohl auf mein zukünftiges Leben hatte, als das Telefon klingelte. Es war genau zwei Minuten nach sechs. Um diese Uhrzeit klingelte das Telefon sonst nie, und wenn ich ehrlich war, klingelte es auch zu anderen Zeiten nur selten. Meist goss ich gerade die Blumen, putzte meine Zähne oder war sonst wie beschäftigt. Es klingelte nur, wenn ich zu tun hatte, und wenn ich dann in letzter Sekunde ans Telefon stürzte, war es nicht für mich, sondern für Jutta. Dass es einmal klingelte, wenn ich still auf dem Sofa lag, konnte nur heißen, dass es diesmal tatsächlich für mich war.
Ich griff entspannt zum Hörer.
»Hallo?«, erklang eine männliche Stimme, die mir unbekannt war. Ich reagierte nicht sofort, um mich nicht zu verraten. Seit meiner Jugend plagten mich Ängste, von obszönen Anrufern belästigt zu werden. Dabei wurde ich auch damals kaum angerufen.
»Hier ist Fahrenkamp«, fuhr die Stimme fort, »spreche ich mit Bernd?« Ob er annahm, dass noch weitere männliche Personen in diesem Haus wohnten?
Auch der Name sagte mir nichts.
»Gunnar Fahrenkamp!«
Es war tatsächlich Gunnar, wie Jutta mir prophezeit hatte.
»Ja, hier Bernd«, sagte ich kurz angebunden.
»Ich wollte dich nur fragen, ob wir am Samstag zusammen squashen wollen?«
Offenbar war es ihm wirklich ernst damit. Natürlich wusste ich sofort, dass er auf diese Weise versuchte, meine Frau auch am Wochenende zu sehen.
»Jutta kann aber wahrscheinlich nicht mitkommen«, log ich, um ihn zu irritieren.
»Ach so?« Sein Enthusiasmus schien schon deutlich verhaltener.
»Sie hat irgendeinen wichtigen Termin«, log ich weiter. Ich kam mir ziemlich gerissen vor.
»Davon wüsste ich aber«, entgegnete Gunnar.
Ich dachte kurz nach. »Du weißt also über ihre Termine Bescheid?« Jetzt hatte ich ihn in der Falle.
»Natürlich, ich vereinbare sie ja für Jutta.«
Ich schluckte. »Aber nur die geschäftlichen, nehme ich an.«
»Wenn es ein wichtiger Termin ist, ist es ein geschäftlicher«, beharrte Gunnar, als gäbe es außerhalb ihres Berufs im Grunde keine wichtigen Termine.
»Es ist aber ein privater wichtiger Termin.« Es ärgerte mich, dass er auch in ausweglosen Situationen souverän reagierte. Vielleicht war das ein weiteres Geheimnis, das ihn für Jutta so attraktiv machte.
»Jutta war aber eben noch bei mir und hat gesagt, dass sie am Samstag Zeit
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